Nach
der Heirat wurde alles ganz, ganz anders.
Blütenblätter
bedeckten den Boden wie Schnee, bis sie, wertlos geworden, braun und
unansehnlich sich der Erde verbanden. Wo Blüten geträumt,
hingen Früchte am Baum – hart und grün, zu wenig
Sonne, und viel Regen hatten sie nicht reifen lassen. Der Wuchs der
Zweige war nicht systematisch gerichtet. Manche wucherten regellos,
kräftig und schön, andere, die ein zu schweres Gewicht
verbogen und zerbrochen hatte, bildeten durch Efeu und Hopfen
herabgerissen und überwachsen eine regellos-romantische Welt.
Alle
Gewohnheiten, Liebhabereien, Ziele waren grundlegend umgewertet. Wie
sich da behaupten, wie sich wenigstens zurecht finden? - Die Bücher?
Man
mag nicht von den „stummen und doch beredten Freunden“
sprechen – es ist ein so abgegriffenes Wort – man mag es
gar nicht anführen – aber sie waren doch nun einmal
die liebsten, treuesten Freunde, die großen Tröster!
Es
war kein Geld da für neue – die Einrichtung war ja noch
ganz unvollständig – kein Platz für die alten –
auch sie waren unwirklich, wertlos und vergangen; wie gestorben
schienen sie mir – wie Mumien, wenn ich in der Bodenkammer den
Deckel von den Bücherkisten hob. Im Amtszimmer standen ein
uraltes Lexikon, ein paar Klassiker und dürftige Fachliteratur.
Man las nicht nicht viel in Neidenburg.
Nach
einem halben Jahr klagte ich Dora mein Leid, und sie schickte
mir leihweise von Zeit zu Zeit ein Paket. Es war eine große
Hilfe. Schweitzer sagt einmal, man könne oft den Menschen, die einem geholfen,
ihre Güte nicht vergelten, aber wie sich um den ins Wasser
geworfenen Stein immer weite Ringe ausbreiten, so kann man dankbar
als Folge der erwiesenen Guttat, anderen das gleiche erweisen. Ich
dachte an Doras Hilfe, die mir in Neidenburg so viel bedeutet
hatte – lernte ich doch durch diese Sendungen die so sehr
geliebte Irene Forbes-Morse kennen. -
Ich war deshalb froh, nach
dem Kriege
Mieze Heumann helfen zu können, die sich in ein weltverlorenes Jagdhäuschen
in Franken – Strandgut aus dem großen Schiffbruch –
glücklich gerettet hatte. Sie sehnte sich nach Büchern, die
ich ihr nun regelmäßig schickte, bis sie in Würzburg
mit ihrer durch den Krieg verwitweten Tochter und deren zwei Kindern
eine neue Heimat fand.
Ach
ja, es war alles so ganz, ganz anders! Ich war mir selber fremd.
Dauernd in Anspruch genommen und erdrückt von einer fremden
Mentalität, überfordert, wurzellos in den neuen Bezirken!
Es
war feucht - halb Regen, halb Nebel, als wir auf dem Neidenburger
Bahnhof ankamen, der wie oft in kleinen Städten, weit draußen
lag. Ich war müde, und nun machte Rudolf noch Umwege, weil er
nicht dauernd angesprochen und aufgehalten sein wollte. An einer
Straßenecke neben einem großen Mietshaus ein
hochgestellter Stein mit dem Kopf Bismarcks als Relief, umgeben von
ein paar dürftigen Büschen. Dort war Rudolfs
Junggesellenwohnung. „Wir werden schon mit der Zeit eine
schönere finden, es werden neue Häuser gebaut,“ sagte
er tröstend.
Rechts
von dem kleinen Korridor lag das Schlafzimmer, neu tapeziert –
kornblumenblau. Ich liebte blaue Tapeten nicht – Blumensträuße,
helle Farben – dachte ich und sah durch's Fenster auf einen
schlecht gepflegten Hof. Ich schlief gern bei offenem Fenster, aber
als später einmal eine Kuh,
ihren Kopf hindurch steckend, mich mit Gebrüll weckte, hielt ich
es lieber geschlossen.
Auf
der anderen Seite des Korridors war das Amtszimmer. Ein sehr langer
Tisch und drei Regale, alles aus Tannenholz und nur gebeizt, eine
Chaiselongue ohne Decke. Nach der Enge und Ärmlichkeit des Büros kam mir
das Zimmer daneben fast gemütlich vor, obgleich es einen
Vertikow,
ein grünes Sofa mit Umbau und eine scheußliche Tapete mit
vielen kleinen schwarzen Punkten hatte, die wegzuwischen man
unwillkürlich man den Wunsch hatte. „Es lohnt sich nicht,
alles neu zu tapezieren, wir ziehen ja doch um, und von den Sachen
musst Du eben sehen, was wir brauchen können. Ich habe sie von Frühling in Königsberg auf Abzahlung gekauft. Es ist
noch nicht erledigt. Du weißt ja, ich hatte noch Schulden aus
der Studienzeit.“ Sein Ton war bitter.
„Der
Teppich ist sehr hübsch“, sagte ich anerkennend. Er war
ganz schlicht ohne Muster in zwei Schattierungen eines gedämpften
Grün gehalten. Das Grün des Sofas aber gleich
„durchgedrehtem Spinat 'handelsüblich' giftgrün
gefärbt“; jede Farbe außer schwarz und weiß
musste sich mit diesem Grün beißen. In welchem Kleid
sollte ich darauf Platz nehmen? Ich hatte ein gutes Wollkleid rötlich
– lila – ein Gesellschaftskleid fliederfarben und
hellblaue Waschkleider. In einer Ecke stand die Vitrine von zu Hause.
Dresdener Rokoko. Die Mutter hatte immer die Saloneinrichtung für
mich bestimmt, da Marie ja das Esszimmer und so vieles andere hatte,
das ich ihr auch von Herzen gönnte. Sie hatte die Sachen benutzt
aber nun nach Neidenburg geschickt. Es hatte ja noch mehr dazu
gehört, als nur die Möbelchen – der helle Teppich,
die Krone aus venezianischen Glas, die Bronzeleuchter. Na, ja.
Mein
Mann hatte sich vor die Vitrine gesetzt und staunte sie an. Ich hatte gedacht, ihm, dem Bauernsohn
und Jäger würde die alte Truhe und besonders die Anrichte von anno 1750, die ich mir auf Umwegen mit Mühe aber wohlfeil
verschafft hatte, besonders gemäß sein. Er erklärte
sie aber als unpraktisch, hätte ein übliches Buffet
vorgezogen und bewunderte nur „den Fremdling“, der auch
wirklich von einem anderen Stern hergeweht schien. Es musste schön
sein, sich mit einer offiziellen Aussteuer alles hübsch
einzurichten, „ein Nest“, wie manche neckisch sagten;
aber schließlich hatte ich hier die Hauptsache: ein „Zu
Hause“, „for good and for worse“,
wie es in der englischen Trauformel heißt. -
Auf
dem Tisch Glückwünsche und Blumen. Bei zwei besonders
schönen Alpenveilchen und Tulpen stand auf den Visitenkarten:
Rechtsanwalt Nadolny und Frau, Regierunmgsrat Lindemann und Frau. Durch das schmale, hässliche Berliner Zimmer mit den
Esszimmermöbeln ging man in die Küche, durch einen kleinen,
nicht zweckbestimmten Raum mit Fliesen hindurch, der einen Balkon
hatte. Ich habe dort nicht ein einziges Mal gesessen, obwohl ich das
Bismarck-Relief da so schön hätte bewundern können,
auch die Kästen nicht bepflanzt. Es war mir zwar peinlich, wenn
andere mit blau-rot-weißen Semiramisgärten prangten und
meiner hinter dem Stern zum Glück etwas versteckt, nur ein paar
versamte Unkräutleion zu bieten hatte, die das vernachlässigte
Aussehen noch besonders unterstrichen. Aber im Herbst, konnte ich
mich trösten, da war überall die Pracht vorbei, und schön
beschneit sah nachher einer aus wie der andere.
Es
gab kein Mädchenzimmer. Das Mädchen schlief in der Küche
in einer Schlafkommode. In Neidenburg lebte man wie wohl die Leute
vor ein paar hundert Jahren. Es gab keine Kanalisation, kein
Krankenhaus, keine Wasserleitung. Zum Glück Gas in der Küche,
aber ein sehr schlechtes Gas, im allgemeinen benutzte man lieber den
Herd. In den Zimmern Petroleum- oder die ganz modernen
Spirituslampen. Gasbeleuchtung machte auch so hässlich.
Das
Wasser zum Kochen und zum Trinken holten die Mädchen von dem 10
Minuten entfernten Brunnen, das Wasser für die Wäsche von
der Pumpe in dem schmutzigen Hof. Nur der Amtsrichter Matthes,
der im selben Haus wohnte, der große Jäger und
Fallensteller – seine Frau hatte eine luxuriöse
Steinmardergarnitur – trank es auch. „Es schmeckt würzig“
sagte er. Uns andere schauderte es. Das Badehaus hatte hölzerne
Wannen. Ich war einmal dort, aber gebadet habe ich dann doch nicht.
Wer ein Freibad wünschte, fuhr per Rad zu den nahen Seen, wo die
Jugend zusammen badete, was sehr getadelt wurde, ebenso wie die zu
kurzen Radfahrröcke, die die halbe Wade sehen ließen. Die
Neide war zum Baden nicht geeignet; sie trug sicher Mitschuld an dem
herrschenden Dauertyphus.
Mein
Mann hatte noch zwei Tage Urlaub. „Was wollen wir tun?“
fragte er beim Morgenfrühstück. „Zusammen sein,
natürlich; vielleicht wandern, die Gegend entdecken“.
„Und
das Mittag?“ - „Das ist doch Nebensache.“
Eine
der vielen neuen Pflichten drängte sich gebieterisch vor und
verlangte ihr Recht.
Die Mahlzeiten!
Das Planen, und Einkaufen
und Vorbereiten, das Kochen!
Das Essen hatte bis dahin in meinem
Leben keine große Rolle gespielt. Gewiss, es war unendlich
gemütlich gewesen, besonders an Sonntagen oder nach einem
Eislauf in Walters Gesellschaft, mit dem ich mich in allem so
gut verstand, Kaffee zu trinken mit ungezählten Honigbrötchen,
und die schwäbischen Gerichte der Mama, diese köstlichen
Aufläufe, Obst- und Käsekuchen wurden von uns allen mit
Freuden begrüßt. Aber je länger desto weniger wollte
ich Fleisch und Fett sehen, und während der Studienjahre kam es
mir schon gar nicht darauf an, das Mittagessen auszulassen, wenn ich
nur morgens am Hafen in der Kaffeestube von Frau Klatt mein
Frühstück gehabt hatte: Kaffee und Gebäck; Preis: 25
Pfg. Was machte es, dass der Kaffee in der unförmig großen
Tasse leicht strandig schmeckte und der Zucker auf den Schnecken und
Hörnchen feucht-klebrig war – die Sonne brach durch den
Frühnebel und gab den schattenhaften Silhouetten der Schiffe
Gestalt und Leben, dem Gefieder der Möwen ins Rötliche
schimmernde Weiße – ich würde noch ein wenig durch
die Anlagen bummeln – etwas leuchtete dort immer, auch wenn es
keine Blüten mehr gab, die Ebereschen, die Eisbeeren, das
glänzend-braune Kindheitswunder der Kastanie.
Warum
nur machten die Hausfrauen sich so viel Plage mit dem Sonntagsmenü?
Oft im Winter, wenn ich in der Stadt Stunden gegeben oder genommen
hatte und durchfroren nach Hause kam, stand ein Rest Milchreis in der
Ofenröhre mit Zucker und Zimt, schön überkrustet durch
die Wärme. War das nicht genug? Und nun in der Ehe gab es
endlose Debatten über Küchenfragen, die schon an sich in
Neidenburg so schwierig waren.
Das
Morgenfrühstück wenigstens war nicht kompliziert. Der
Bäckerjunge tat schon morgens um fünf Uhr die Brötchen
in den Beutel, der an der Klinke hing. Der Milchmann füllte die
Kanne, die vor der Türe stand. Dazu kam täglich ¼
Pfd. Leberwurst, manchmal auch ½ Pfd. Sülze. Im Frühling
kamen noch oft 2 Eier hinzu, die mein Mann gern roh trank, was nicht
mein Geschmack war, da Trinkeier möglichst frisch vom Nest für
mich mit kuhwarmer Milch zu einem Begriff verschmolzen –
ländliche Fürsorge für kümmerliche Städter,
eine Fürsorge, die mir so oft dringlich angeboten wurde, weil
mein Steckbrief seit frühester Kindheit auf „etwas schmal
und blass“ lautete. Ich zog mein Glas Honig oder Marmelade vor.
Nur
am Gänsebraten mich voll zu beteiligen lernte ich bald. Zu Hause
hatte eine Gans für die Eltern, 7 Kinder und oft noch einen Gast
gereicht. Für das Personal wurde ein Stück Schweinebraten
mitgeschmort, das die Mama, die weder Wild, noch Geflügel
gewohnt war, dem Gänsebraten vorzog.
Nun stand für uns
zwei eine Mastgans auf dem Tisch, knusprig braun und appetitlich
anzusehen, und wir flankierten sie von rechts und links. Wir werden
die ganze Woche von ihr zehren, dachte ich, das würde das Leben
erleichtern, mittags in Sauce gewärmt, kalt mit dem Rest
Schmorkohl, das Gerippe in Kartoffelsuppe – da hatte mein Mann
schon eine Keule in Angriff genommen, von der braunen Brust ein Stück
dazu gesellt, zum Überfluss den Pürzel als besonderen
Leckerbissen vorsorglich auf den Rand seines Tellers gelegt. Da ließ
ich auch die Vorsuppe, die doch helfen sollte, möglichst viel
von dem Braten zu sparen, ungenützt erkalten und machte es ihm
auf der anderen Seite des Bratens nach.
Als
ich mit dem Abwasch beschäftigt war, folgte er mir in die Küche,
um durch Wegnahme appetitlicher Stückchen und Ablutschen
einzelner Knöchelchen den klein gewordenen Braten noch etwas zu
„beputzen“ und abzurunden. Dadurch wurde der Küchenzettel
wieder umgeworfen.
Geflügel
war sehr billig und darum „gefüllte Täubchen“ -
das Paar wurde auf dem Markt für 60 Pfg. angeboten – ein
übliches Neidenburger Sonntagsessen. Trotzdem war die
Fleischbeschaffung im allgemeinen nicht einfach, da es kein Kühlhaus
und deshalb Fleisch nur einmal in der Woche gab.
Und mein Mann
wollte jeden Tag Fleisch und noch dazu in bunter Abwechslung. Kleine
Mengen wurden aber gar nicht abgegeben. So hatte ich 2 Scheiben Filet
bestellt, um mit dem Mittagessen wenig Plage zu haben. Als ich dem
Fleischergesellen die Tür öffnete, staunte ich; ich dachte,
er brächte in seiner Mulde das Sonntagsessen für das ganze
Haus, aber er legte die schwere Last in meiner Küche ab –
ein riesiges Roastbeef mit zugehörigem Filet. Als Frau Lindemann im Frühling 1955 bei mir war, erinnerte sie mich daran, dass es
ihr noch schlimmer ging. Sie hatte einen Rinderbraten für 7
Personen bestellt. Zwei Mann brachten, wie sie meinte, ein halbes
Rind. Jedenfalls mussten beide Flügel der Haustür geöffnet
werden.
Fische
waren spottbillig, besonders wenn man sie an Ort und Stelle kaufte in
den Dörfern, die an den herrlichen masurischen Seen lagen; nicht
von den Pächtern, die ihre Ware nur en gros verschickten,
sondern von den Dörflern direkt. Die nahmen es als ihr gutes,
durch Jahrhunderte geheiligtes Recht, dass der Reichtum von Wald und
See zu ihrer Verfügung stand. Entschuldigend sagte der Lehrer
von seiner verschlafenen teilnahmslosen Klasse: „Die Kinder
sind vollkommen übermüdet, Herr Schulrat; sie haben den
Eltern die ganze Nacht beim Fischen geholfen.“ Wegen verbotenen
Fischens oder Wilddieberei bestraft zu werden, galt nicht als
Schande.
Der
Gemeindevorsteher, dessen Amt eine gewisse bürgerliche
Reputation erforderte, hatte nur eine Gefängnisstrafe
verbüßt.
Mein
Mann liebte Fisch und brachte von seinen Inspektionsreisen ins
tiefste Masuren sehr schöne Fische mit, die er im Kasten der
Cyklonette26 verwahrt
hatte. Er warf sie nach der Ankunft zusammen mit
feuchtem Moos und grünen Blättern auf die Erde und rief
nach Schüsseln zum Unterbringen des Segens. Die armdicken Aale
wanden sich im Gras, die riesigen Hechte zeigten ihr furchtbares
Gebiss, die schimmernden Schleie entwanden sich schlüpfrig den
nur zögernd zufassenden Händen.
„Sie leben ja
noch, Rudolf, sie leben!“
„Ach, Unsinn, das
sind nur Muskelbewegungen. Du musst sie schnell verwenden, weil sie
geschlachtet sind.“
Aus
dem Moos züngelte eine versehentlich mitgenommene Schlange.
„Es
ist zuviel, Rudolf, es ist zu viel.“
„Wir
könnten Bekannten einige Pfund abgeben.“
„Ja, die
Aale, vor allem die Aale!“
„Freust Du Dich?“
Ich
hatte reichlich zu tun. Im Keller auf dem Regal standen runde
Schüsseln mit Portionsstücken von Schlei in glasklarem
Gelee, dem hindurch gezogenes Eiweiß jede Trübung genommen
hatte. Gestürzt, mit Tomaten, Zwiebeln und hartem Ei garniert,
kamen sie zusammen mit Bratkartoffeln und Remouladensauce auf den
Tisch.
Ich
hatte allerlei gelernt.
Bei meinen ersten Mittagessen sah die
Küche aus, als hätte ich ein Essen für 20 Personen
ausgerichtet. Mal war die Mehlschwitze zu dünn geraten, dann zu
dick oder klumpig, immer wieder nahm ich neue Kochtöpfe, und die
Butter, diese tückische Materie, blieb hellgelb, wenn sie sich
bräunen sollte und sah man einen Augenblick fort, war sie
schwarz und roch abscheulich. Aber bald pflichtete ich Ottilie
Wildermuth bei, die von allen Haushaltsarbeiten das Kochen als
die dankbarste und interessanteste rühmt. Es durfte nur nicht
gar zu viel auf einmal sein wie bei den Fischen.
Der
Schlei konnte stehen in Weinessig konserviert, Barsche mit den
hässlichen Gräten mussten schnell verwendet werden.
Gebraten mit Kartoffelbrei. Es blieben so viele Reste; man konnte sie
mariniert geben als Salat, den Kochfisch, von Gräten befreit und
durch den Wolf gedreht als Klößchen – es gab kein
Ende – und der ganze Umstand für zwei Menschen, von denen
sich der eine mehr pro forma beteiligte – nach solch einem
Beutezug roch die ganze Wohnung nach Fisch. Zu dem Riesenhecht wurden Lindemanns geladen. Er schmorte, gut mit Räucherspeck
gespickt und häufig mit saurer Sahne beschöpft, zusammen
mit Zwiebel-, Sellerie- und Mohrrübenscheiben in der Bratröhre.
So zubereitet schmeckte er nicht sehr nach Fisch, und die Sauce war
köstlich.
Dies
Gastmahl – Backhecht mit frischem Gurkensalat, neuen Kartoffeln
mit Petersilie bestreut, als Getränk Branneberger – wurde
noch jetzt nach 44 Jahren von Frau Lindemann gerühmt.
Danach gabs Kaffee, Kuchen, Likör, Obst – mein Mann liebte
keine lange Speisenfolge.
Zum Programm gehörte eine
Sonnenfinsternis, Frühling 1912. Ich versäumte den
Höhepunkt, weil die kleine Urte nach mir rief, aber ich sah doch noch die Sterne am plötzlich um
die Mittagszeit verdunkelten Himmel, verspürte den kühlen
Hauch, der durch die Straßen wehte, den seltsamen Geruch, den
man metallisch auf der Zunge schmeckte, das fremdartig-geisterhafte
ansich ganz natürliche Vorgänge. Es dauerte nur wenige
Minuten. Der herrliche Sommertag blaute wieder, der Hecht wurde
fröhlich unter Aneinanderklingen der Rheinweingläser
verzehrt, „der schwarze Kaffee nebenan“ - wie es immer
bei Fontane heißt – aufgetragen, - und doch verließ
mich nicht die Vorstellung, , daß das Lichte und Frohe Kulisse
war dass die graue Kühle dahinter - die nur im Augenblick
verschwunden war – sich langsam enthüllend gnadenlos auf
uns zukam – das eigentliche Sein der Dinge. -
Urte
saß im Kinderwagen neben uns; sie sah bildniedlich aus und
lachte bei jedem Scherz mit als hätte sie allen verstanden –
in ihrer bloßen Existenz ein zukunftsfroher Sieg, ein heller
Trost für alles Kommende.
Zu
den Fleisch- und Fischvorräten kam nun noch das Wildbret. In
dieser entlegenen Gegend hatte mein Mann ein Jagdgebiet wie ein Fürst
oder besser wie ein Waldgängen und Fallensteller. Er jagte wie
wohl seine Vorfahren vor 100 oder 1.000 Jahren als Mitgeschöpf
und zugleich als Herr, der Anspruch hatte auf alle Gaben von Wald und
Wasser. Er wollte mir eine Freude machen, wenn er mich bat,
mitzukommen, aber mir war dieser, oft undurchdringbar verwachsene
Urwald – ohne Spazierwege, ohne Ruhebänke und saubere
Kaffeehäuschen richtig unheimlich. Verwilderte Gärten –
gut und schön, aber im Wald musste Ordnung herrschen, sonst
wurde es gefährlich; man war ja in der Beziehung aufs Beste
orientiert durch die Brüder Grimm.
Rudolf störten
auch die Mücken nicht, vor denen ich mich unter Wolldecken
verkroch. Alles kleine Getier schien meine Gesellschaft besonders zu
suchen wie bei Morgensterns „nervösem Menschen auf einer
Wiese“.
„Kaum
dass er gesetzt sich in die Gräser,
Naht die Ameis,
Heuschreck, Schneck und Wurm,
Naht der Tausendfuß, der
Ohrenbläser,
Und die Hummel bläst zum Sturm“.
Der
Regen war auch kein Grund, einen geplanten Ausflug aufzugeben. Da
saßen wir nun dicht am Stamm einer mächtigen Tanne, die
uns tatsächlich vor einem leisen, gleichmäßigen
Sprühregen schütze. „Wie ist der Wald so besonders
schön bei Regen“, sagte Rudolf tief befriedigt, „und wie gut, wenn man hinaussieht und weich im Trockenen
sitzt.“ Ich schauerte zusammen. „Du sprichst aus der
Mentalität eines Rehbocks heraus.“ Er lachte und legte mir
mitleidig seine Jacke über die Schultern.
Einmal,
allerdings nur ein einziges Mal versagte die Cyklonette. Die Gegend
kein richtiger Weg, nur Schneisen. Meine neuen, hellbraunen Schuhe
wurden hoffnungslos nass und schmutzig, wir waren sehr hungrig, und
nun kam auch noch die Nacht. Wir saßen mal wieder unter einem
Baum und überlegten, d.h. Rudolf überlegte; er hatte
einen wunderbaren Ortssinn. „Bis zum nächsten Dorf sind es
noch 2 Stunden.“ „Weißt Du den Weg?“ „Ich
weiß die Himmelsrichtung“. Ein höllisches Lachen,
ein durchdringendes Schreien in der tiefen Stille ließ mich
schnell Rudolfs Hand ergreifen. „Entsetzlich, was ist
das?“ „Eine Eule; sie hat sich mehr erschreckt als Du.“
Wir gingen weiter, da plötzlich ein Licht – Hundegebell –
eine scheppernde Glocke am Glockenzug, die sich gar nicht beruhigen
kann, eine Petroleumfunzel hinter einer vorgehaltenen Hand, „das
Wirtshaus im Spessart!“ Wir bekamen Bratkartoffeln –
versalzen durch den scharfen, alt schmeckenden Sommerspeck, kalte,
harte Eier, die dann doch weich waren, Brot, das Vollkornbrot im
Quadrat war – ich hatte das Gefühl, Getreidekörner zu
essen, und Butter, die nach lange aufgesparter Sahne schmeckte.
Unserm
armen Tasso bekam das hastig verschlungene Essen auch
nicht.Ihm wurde schlecht. Die als Lektüre mitgenommenen
Zeitungen mussten helfen; er wimmerte und beruhigte sich erst, als
ich ihm meinen Unterrock als Lager gab. Die Matrtzen hart, die
Zudecke wie Blei. Ich fühlte mich kreuzelend am nächsten
Morgen und sah auch so aus; aber Rudolf war wohl und vergnügt.
Er hatte gut geschlafen, sich an der Pumpe ausgiebig gewaschen - „so
ohne Wasserleitung, das erfrischt doch ganz anders,“ warmes
Wasser aus der Küche selber geholt und sich rasiert und aß
nun hartes, schwarzes Brot mit Räucherschinken und einem Korn
und dabei unterhielt er sich mit dem Wirt über
Existenzmöglichkeiten in dieser verlassenen Gegend.
Er
sah mich ganz erschrocken an, als ich dazu kam. „Du siehst ja
ganz krank aus, so schmal und blass,“ „und grün“
setzte ich hinzu der Abwechslung wegen. Er bestellte Tee, und der Tee
war ganz ausgezeichnet, wie häufig im Osten, heiß, duftend
und stark.
Zu
Hause warf ich alle Sachen von mir, gleich in den Waschzuber; nur
schade, dass wir kein Badezimmer hatten, aber schließlich gings
auch so; das Schlafzimmer schwamm. Oh, wie schön“, dann im
sauberen Zimmer zu sitzen.
„Das
Wetter hält sich,“ sagte mein Mann, „wenn Du mir die
Statistik über die privat unterrichteten Kinder abnimmst,
könnten wir morgen auf den Bock gehen.“ „Morgen?! Ich denke, wir ruhen uns erst mal aus.“
„Ich bin nicht müde, es war doch ganz nett trotz oder
schließlich auch wegen der Panne. Der Wirt erzählte mir
...“ Ich hatte Sorgen und hörte nicht viel.
Ich
war einmal dabei, als ein Bock, von der Kugel getroffen, mit einem
Satz im Dickicht verschwand. Rudolf fand eine schwache
Schweißspur und einen winzigen Knochensplitter. Er wurde blass vor Erregung und
Kummer.“Der Knochen muss vom Bein herrühren, das ist ein
Schlumpschuss.
Getroffen ist das Tier, aber nicht tödlich. Er wird sich
hinlegen, um zu verenden. Es wäre Quälerei, es jetzt
aufzustöbern; wir müssen mindestens eine Stunde warten. Und
so saßen wir denn mit dem unruhig winselnden Hunde, bis
endlich, endlich die Suche begann.
Sie
war kurz. Nur wenige Schritte von der Stelle, wo es getroffen, lag
das schöne Tier auf dem weichen Moos wie von freundlicher Hand
gebettet. Der Schuss war ganz unten durchs Herz gegangen und hatte
den Knochen ein wenig gestreift. Daher der Splitter, der meinen Mann
so geängstigt hatte. Um doch auch richtig mitzumachen, reichte
ich ihm mit „Weidmannsheil“ einen Bruch,
den er „Weidmannsdank“ murmelnd, zerstreut an den Hut
steckte.
Dann
eilte er nach Hause mit seinem Schritt, der so langsam schien und ihn
doch so schnell vorwärts brachte, ich etwas atemlos
hinterher.
Er klingelte den Amtsrichter heraus, der über uns
wohnte und gerade schlafen gehen wollte aber sich nun begeistert zur
Verfügung stellte. Die Jagd war ja seines Herzens ganze Freude;
um in Neidenburgs Jagdgründen bleiben zu können, hatte er
bessere Stellen mehrfach abgelehnt. Als sein 9-jähriger Junge
gefragt wurde, ob er auch einmal Amtsrichter werden wolle, lehnte er
ab: „Ach, immer nur im Wald sein, das ist auch nicht sehr
schön.“ Viel zu schnell hörte ich die Hupe im Hof, wo
das Wild von den beiden Jägern gleich aufgebrochen
wurde.
Nun
konnte ich die halbe Nacht in der Küche zubringen, die ich schon
in der Dämmerung mied, weil dann manchmal Ratten von dem
schlecht gehaltenen Hof über die wurmstichige Treppe ins Haus
kamen. Einmal vor meiner Heirat war da auch ein Hund
hereingeschlichen, der meinem Mann nach seinem ganzen Gebahren
unheimlich vorkam, sich aber verjagen ließ; zum Glück,
denn am nächsten Tag wurde er wegen ausgebrochener Tollwut
erschossen. Meinem Mann durfte ich jetzt nicht die Freude verderben.
Strahlend kam er mit aufgekrempelten Armen herein und setze das
Gehörn in meinem besten Kochtopf aufs Feuer. „Pass nur auf, dass der
Knochen ganz im kochenden Wasser ist; aber nichts darf an die Rosen kommen, um Himmelswillen nicht, sonst werden sie blass. Und hier ist
das Hirn, mach es gleich für Matthes und mich zurecht mit
Setzei; aber vergiss Zwiebel und Pfeffer nicht, und hier sind auch
Lunge und Herz, das „Jägerrecht“. Aber das gehört
mir ja ohnehin.“
Damit
lief er wieder auf den Hof.
Die
Mitglieder des Jagdvereins durften das erlegte Wild behalten, auch
verschenken, aber nicht verkaufen.
Ich war vor allem für
Verschenken! Es wurde ja zu viel! Ein ganzer Bock!
Und
alle die Rebhühner! Ich verstand es bald, sie mit dünnen
Streifen von Räucherspeck, die auf die Brust gelegt wurden, in
Blätter von echtem Wein gewickelt mit einem Hauch von
Wacholderbeeren in Palmin anzubraten, in Butter zu bräunen und
mit saurer Sahne zu begießen. Die alten mit den Füßen,
die niemand wollte, die aber viel fleischiger waren als die jungen,
wurden unter Zugabe von einem Esslöffel Rum eine Viertelstunde
vorgekocht; dann waren sie ebenso lecker und viel ergiebiger als die
jungen. Rezept von Frau Matthes, klar!
Bei
der Zubereitung der Schnepfen musste noch mehr Kunst aufgewendet
werden, und der ganze Vogel war doch nur ein einziger kleiner Bissen!
Ich hatte mich getäuscht, wenn ich gedacht hatte, diese
Dingerchen würden schnell weich sein; sie brauchten ihre Zeit.
Bei der Zubereitung von Wild half Rudolf mit und gab
Anweisungen:
„Nur den Mastdarm entfernen, Liesel,
nur den Mastdarm, alles andere zu Schnepfenbrötchen nehmen auf
Toast ...“
„Ich weiß, es steht ja in der
Doennig.“
„Und nicht den Kopf beschädigen, ja
nicht den Kopf, vor allem Vorsicht mit dem Schnabel! Der ganze Vogel
mit Kopf und Schnabel muss auf die Platte ... ich denke wir laden Nadolnys ein, Lindemanns.“
Schnepfenbrötchen! Graf Trenck hatte von ihnen erzählt, aber gesehen oder
geschmeckt habe ich in Langendorf und Pomedien nicht einmal eine
Schnepfe selbst, obwohl man auf den Schnepfenstrich ging, obwohl man an den Sonntagen zur Zeit des Schnepfenstrichs
fleißig zitierte:
Pauli:
da kommen sie!
Laetare: das ist Wahre,
Judica: sind sie auch
noch da
Palmarum: Trallarum
Quasimodo genitis: Halt, Jäger
halt, jetzt brüten sie!
Der
Schnepfenstrich! Während ich ein wenig Mehl anrührte –
nur ganz wenig, gerade genug, um die Sahne nicht gerinnen zu lassen
und die Sauce etwas zu binden, während ich den ganz neuen
Sauerkohl auf die Seite des Feuers zog und die Preiselbeeren in
Glasschalen füllte, dachte ich an den Schnepfenstrich in
Langendorf.
Oh,
die grau-samtene, silbrige Dämmerung über frisch
umgeworfenen Schollen, über dem grünen Teppich der
Wintersaat, eine so still-tröstliche Dämmerung, die unter
den Bäumen, wo wir standen, langsam in Dunkelheit überging.
Überall Geheimnis, Hoffnung und Versprechen. Der Vorfrühling
hatte noch keine Blumen, die Erde, die Baumrinden, die Kräuter
gaben der Luft eine unvergleichlich kräftig-aromatische
Mischung.
Wir gingen meistens zu zweien.
Ach, ja – ich
sprach zu Rudolf nicht viel von diesen Erinnerungen. Er genoss
diese Frühlingssimmung als etwas ganz selbstverständlich
zum Jahresablauf gehörendes, aber Jagdausflüge, die nicht
einmal der Beobachtung des Wildes dienten, nicht wenigstens einen
Rucksack voll Pilze, einen Strauß Waldmeister einbrachten,
waren in seinen Augen etwas verächtlich. Sein Schnepfenstrich
war anders. Mir wurde das Gehen schon schwer, und der lange Anmarsch
hatte mich ermüdet. Ich bemerkte nichts von Farbe und Duft; ich
kauerte auf der von ihm sorglich mitgebrachten Decke, die die
Feuchtigkeit doch nicht ganz abhalten konnte.
Rudolfwar
viel zu erwartungsvoll angespannt, um Kälte oder Ermüdung
zu fühlen.
Und dann – kamen sie wirklich!
Man hörte
das leise Quorren – gegen den rosa-grünen
Sonnenuntzergangshimmel hoben sie sich in deutlicher Silhouette ab –
der kurze Körper, der kleine Kopf mit dem langen Schnabel – der Hund neben mir zitterte und wagte keinen Laut, Rudolf stand wie aus Stein, der Schuss fiel. Die Vögel wurden gesucht, Tasso winselte vor Aufregung - „Die nächsten, die
kommen, lassen wir vorbei“. - Ein Blick – verständnislos
und fremd. -
Unter
den Neidenburger Jägern galt mein Mann als Meisterschütze.
Beim Tontaubenschießen bekam er den 1. Preis, eine farbige
Gravüre der „Nachtwache“, aus der wir uns zwar beide
nichts machten, aber ich wenigstens war stolz auf die Ehre.. „Ihr
Gatte, Donnerwetter, der holt selbst die Bekassinen
als Doublette herunter!“ Die Bekassinen meckerten in Zickzack-Liebesspielen
über den feuchten Wiesen.
Ein
Sonntagsspaziergang, mal ohne Gewehr, dann stieg meine Begleitung an
Wert. In den im Sommer trockenen Gräben stand jetzt das Wasser.
Ich wollte von den Vergissmeinnicht am Rande pflücken, aber Rudolf zog mich schnell und leise zurück. Er blickte
starr ins Wasser.
Im Flüsterton: „gib mir Haare!“
- „??“ - „Von Dir; für den Hecht zur
Schlinge.“
Nun sah ich ihn; einen großen Hecht, der
zum Laichen in den Graben hochgestiegen war und ganz still stand. Ich
spendete 3 Haare, die mein Mann geschickt zur Schlinge knüpfte,
aber meine Bewegungen waren zu hastig gewesen; der Hecht war
verschwunden, und ich floh glücklich über die entronnene
Beute auf die trockene Chaussee.
Es
gab auch Treibjagden, aber nicht als gesellschaftliches Ereignis. Wie
schön waren sie in Langendorf gewesen! Helle Räume, Musik
und Tanz wie bei den großen Bällen, aber nun noch
verschönt durch das sportliche Leben und Treiben in der
bezaubernden Schönheit, die die Winterlandschaft für den
Reichen hat. Es war sooo vergnügt! Ich hatte gerade eine Karte
mit 20 Unterschriften bekommen:
„Wie
oft bei Tanz und Lustbarkeit,
Hat Fräulein Lemke uns erfreut.
Jetzt
trägt sie mit vieler Würde
Ihres Haushalts schwere
Bürde.“
„Liesel,
woran denkst Du nur? Ich muss gleich fort. Wo ist der Proviant?“
Die
Geselligkeit in Kleinstädten hatte gerade damals viel für
sich. Es gab kein Kino, keinen Rundfunk, kein Theater, Konzert, keine
Vorträge. Man war auf sich selber angewiesen. Hausmusik und
Liebhabertheater im Winter, Waldausflüge mit Picknick im Sommer und die
ausführlichen Kaffees!
Ich habe das alles genossen, obwohl
mein Mann aus von beiden Elternteilen ererbter Anlage zu quälender
Eifersucht und einer tiefgründigen Ablehnung offiziellen
Verkehrs die frohe Kleinstadtzusammengehörigkeit nicht
mitmachte. Die beiden sich schnell folgenden Schwangerschaften
verboten ja auch vieles, wenn schon die Neidenburgerinnen sich nicht
so sehr absperren ließen. Ich erlebte es zweimal, dass eine
junge Frau schnell aufbrechen musste und am nächsten Tag ein
Kindchen hatte.
Was
mögen die Neidenburger manchmal von mir gedacht haben? Mein
Haushalt war so gar nicht musterhaft, und ich war so unbekümmert
in Toilettefragen.
Ich war zu einem Holzhändler in seine prächtige Villa zum
„Waffelessen“ geladen. Ich hatte eine gestreifte, seidene
Bluse an und einen dunklen Rock. Und da kamen Gäste in hellen,
seidenen Ballkleidern. Es gab außer den Waffeln alles, was man
sich nur wünschen kann und endete um 3 Uhr morgens mit Tanz und
Sekt. Meine Einfachheit störte mich nicht.
Kaum
zwei Jahre waren wir dort. Als Freundschaften erblühten, hörte
alles auf. Mein Mann wurde nach Bromberg versetzt. Es galt als große Beförderung, denn mein Mann
war der jüngste hauptamtliche Kreisschulinspektor in Preußen
und kam in eine große Stadt. An dem Abschiedsessen, das ihm
offiziell von der Lehrerschaft gegeben wurde, konnte ich leider nicht
teilnehmen. Beim Nachhausekommen erzählte er mir, er hätte
sich bei einem Lehrer besonders bedankt, weil dieser die weite Fahrt
aus seinem abgelegenen Dorf nicht gescheut hätte, um sich zu
verabschieden. „Ich“, hätte der Lehrer gesagt, „ich
kam hauptsächlich wegen Ihrer Frau; ich war einmal bei Ihnen und
sie war wie ein Engel.“ „Nein“, rief ich, „das
ist nun wirklich mal ein nettes Urteil; wie sieht er denn aus?“
„Alt und hässlich“ war die Antwort, „er
schielt auch und hinkt.“ „Rudolfchen, ich glaube
Du übertreibst ein bischen; Du willst diese schöne Ansicht
entwerten.“
Wieder
wie in Pomedien, in Bendiglauken und Königsberg wehte gerade bei
meinen Abschiedsbesuchen ein leiser Wind. Ich staunte fast, wie sich
Bindungen schmerzlos lösten. Aber eines war nun so ganz anders.
„Das zu Hause“ nahm ich mit.
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(Einige der Fußnoten wurden zitiert aus der deutschsprachigen Wikipedia http://wikipedia.de/ )