Familientag Lemke (Lemcke) 26. Juni 1891
zu Berlin

 

 

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Des
Stammes Gustav Lemke
(Lemcke)

Familientag,
gehalten zu Berlin am 26. Juni 1891.

Vorwort
zu der nachfolgenden Familientafel


Das Stammland der Failie ist Mecklenburg. Dort ansässige Vettern schreiben den Familiennamen Lemcke und so lautet auch ein Taufschein, welcher im Jahre 1853 für den Stammvater Gustav beschafft wurde. Von diesem ist eine Erklärung bekannt, daß er das c vor dem k für überflüssig gehalten und deshalb weggelassen habe, so daß seine sämmtlichen Kinder auf den Familiennamen Lemke getauft worden seien. Seit in dem obengenannten Jahre gerichtliche Acte vorgenommen werden mußten, an denen auch der Stammvater betheiligt war, nahm er das c in seinen Namen wieder auf und die Mehrzahl seiner Kinder folgte ihm darin. Die Brüder Julius und Georg konnten sich aber nicht anschließen weil für die Eintragung ihrer Namen in kaufmännische Firmenregister die Schreibweise ihrer Taufscheine: Lemke, maßgebend war. Neuerdings schreibt auch Schwester Margarethe ihren Namen wieder ebenso.
In der Familientafel wie in der Festschrift ist diese Schreibart, als die bei Begründung der Familie des Stammvaters Gustav geltend gewesene, beibehalten worden.
Die bei den Namen der Kinder der Stammeltern verzeichneten Daten beruhen auf den Angaben der noch vorhandenen Familienbibel. [Die halb-fett gedruckten Vornamen sind die Rufnamen.]
Die mit * in der Familientafel bezeichneten Personen waren Theilnehmer am Familientage. Soweit Lebende nicht erschienen sind, waren sie durch Verhältnisse ihrer engeren Familie abgehalten.
Als Gäste waren aus ergangene Einladung anwesend
Vetter Georg Sehmsdorf , Kaufmann in Berlin und dessen Ehefrau Meta Sehmsdorf, geb. Ring.
[Georg Sehmsdorf und Frau Meta sind auf dem Bild zur Goldenen Hochzeit seiner Eltern zu sehen.]

 

 

Die Stammeltern
Johann Ernst Heinrich Gustav Lemke, geb. zu Kl. Daberkow in Mecklenburg=Strelitz am 18. März 1794, gest. zu Stettin am 13. Juli 1873. Kurzbiografie
Auguste Lemke, (so im Trauregister, im Taufregister der Vorname Augustine) geb. Sehmsdorf, geb. zu Züsedom in der Uckermark am 21. August 1802, gest. zu Stettin am 18. Oktober 1855.
Kinder Enkel Urenkel      
1.
Karl Gustav August Lemke, geb. zu Stettin am 9. August 1822, gest. daselbst am 1. März 1826.    
*2.
M a r i e Elise Auguste Wilhelmine Lemke, geb. zu Stettin am 1. März 1824. Früher Lehrerin, lebt jetzt im Ruhestande in Berlin.    
3.
Ernst Hugo Amandus Lemke, geb. zu Stettin am 16. December 1825, gest. daselbst am 1. Februar 1828    
4.
Gustav Albert Julius Lemke, geb. zu Stettin am 17.Juni 1827, gest. zu Königsberg i. Pr. am 25. Oktober 1875.
Ehefrau : Antonie Emilie Friederike geb. Kirchhoff, geb. zu Schönewalde b. Pasewalk am 15. Januar 1835. Lebt in Berlin.
   
4.1.
G e r t r u d Amanda Auguste geb. zu Petrihof bei Stettin am 17. April 1859, gest. daselbst am 29. Juni 1862.    
4.2.
M a x Albert, geb. zu Petrihof b. Stettin am 2. Oktober 1860. Lebt als Ingenieur in Berlin.
Verheirathet mit
Margarethe Bertha geb. Süßkind, geb. zu Belzig am 13. Juli 1869.
   
4.2.1. Hans G u s t a v, geb. zu Berlin am 25. Oktober 1889.    
4.3.
P a u l August, geb. zu Petrihof b. Stettin am 20. Juni 1862. Lebt als Schauspieler in Libau (Rußland).
Verheirathet mit
Ida Betty geb. Duwe, geb. zu Braunschweig am 21. Uli 1854.
   
4.3.1. Wally Antonie, geb. zu BerIin am 30. März 1887.    
4.4.
Agnes Friederike, geb. zu Petrihof b. Stettin am 6. November 1863. Lebt als Buchhalterin in Berlin.    
4.5.
Curt Friedrich, geb. zu Ploessenhof in Ostpreußen am 5. Juli 1866. Lebt als Kauf mann in Berlin. Verheirathet mit Franziska Marie geb. Büttner, geb. zu Meiningen am 14. Februar 1867.    
4.6.
Elisabeth Antonie Johanna, geb. zu Ploessenhof in Ostpreußen am 11. Februar 1868, gest. daselbst am 6. December 1868.    
4.7.
Ernst Julius, geb. zu Ploessenhof in Ostpreußen am 25. Mai 1870. Lebt als Handlungslehrling in Berlin.    
4.8.
M a r i e Martha, geb. zu Königsberg am 19. Mai 1873. Lebt in Berlin.    
*5.

Ernst J u l i u s Alexander Lemke, geb. zu Stettin am 23. November 1828. Lebt in Leipzig/Gohlis als Director der Leipziger Feuer=Versicherungs=Anstalt. [gest. 17.7.1905]
Ehefrau:
Agnes Louise, geb. Eckhardt, geb. zu Leipzig am 23. März 1831 , gest. zu Gohlis am 6. November 1880.

   
*5.1.

Marie M a r g a r e t h e , geb. zu Leipzig am 31. März 1858. Lebt als Gesangslehrerin in Heidelberg.
[verheiratet mit:
José Vianna da Motta, Spanier, Klaviervirtuose]

   
*5.2.
Gustav Karl J o h a n n e s , geb. zu Leipzig am 20. Mai l 859. Lebt als Oberlandesgerichts-Referendar in Jena
[gest. 8.5.1935
verheiratet mit:
Elly, geb. Beckhaus, geb. 24.7.1876, gest. 19.1.1969]
   
5.3.

Auguste Eleonore Elsbeth geb. zu Gohlis am 24. November 1860, [gest. 3.11.1941]
Verheirathet an
Dr. jur. Johannes Karl Weber, geb. zu Leipzig am 24. Juli 1859 [gest. 27.7.1923]; Bürgermeister in Penig, Kgrch. Sachsen; Bürgermeister in Leipzig

   
5.3.1.
D o r o t h e a Elsbeth, geb. zu Leipzig am 2. März 1885. [gest. 12.6.1963 in Leipzig]    
5.3.2.
Eva Elsbeth, geb.zu Leipzig am 10. Juli 1886. [gest. 5.2.1948]    
5.3.3.
H a n s Carl Hermann Julius, geb. zu Königstein a. Elbe am 2. Oktober 1888. [gest. 23.4.1946]    
5.3.4.
M a r i a n n e EIsbeth, geb. zu Königstein a/Elbe am 3. März 1890. [gest. 25.7.1952] (mehr Info zu den Linien Backhaus und Zieger)    
*5.4.
E v a Louise, geb. zu Leipzig am 25. Oktober 1870.
Verheirathet an
* Dr.jur. Hans Paul Alfred Ziegner-Gnüchtel, geb. zu Leipzig am 19. April 1859. Lebt als Beamter der Leipziger Feuer-Versicherungs-Anstalt in Hannover.
   
6.
Fanny A u g u st e Lemke, (so die Bibel, im Gegensatz zur sonst allgemein als richtig angenommenen Tradition Fa n n y), geb. zu Stettin am 26. Juni 1830, gest. daselbst am 1. Juli 1830.    
7.
Edmund Karl Richard Lemke, geb. zu Stettin am 21. August 1831, gest. zu Stargard i/Pomm. am 8. September 1852.    
*8.
Johann G u s t a v Lemke Lemke, geb. zu Pasewalk am 10. Mai 1833. Besitzer von Augustenfelde in der Uckermark und Director der Zuckerfabrik in Prenzlau.
*Ehefrau: Johanna Th er e s e geb. Boettcher, geb. zu Stettin am 29. December 1833.
   
8.1.
Gustav Wilhelm J o h a n n e s , geb. zu Pommerensdorf b/Stettin am 26. Juli 1862, gest. zu Augustenfelde am 26. Januar 1873.    
*8.2.
Laura Auguste M a r t h a, geb. zu Pommerensdorf am 1. September 1863. Lebt als Lehrerin der Höheren Privat-Töchterschule in Prenzlau.    
*8.3.
Heinrich Julius Ernst, geb. zu Pommerensdorf am 6. August 1866, Lebt als Kandidat des höheren Schulamtes am König-Wilhelms-Gymnasium in Stettin.    
*8.4.
H e r m a n n Albert Eduard, geb. zu Pommerensdorf am 15. Juni 1870. Landwirth, z. Zt. Vice= Feldwebel der Reserve beim 64ten Inf.=Reg. in Prenzlau.    
*8.5.
W i l h e l m Georg Richard, geb. zu Pommerensdorf am 1S. Juli 1872. Landwirth. Z. Zt. in Alexanderhof bei Prenzlau.    
9.
Hermann Alexander Lemke, geb. zu Pasewalk am 9. S eptember 1834, gest. daselbst am 29. November 1834.    
*10.
Hugo Karl Heinrich Lemke, geb. zu Pasewalk am 5. December 1835. Professor und Director des Stadtgymnasiums in Stettin. [Hugo Lemcke, Gymnasialdirektor, Geheimer egierungsrat]
*Ehefrau: A n t o n i e Minna Mathilde, geb. Giese, geb. zu Wulflatzig, Kreis Neu-Stettin, am 8. December 1840.
   
*10.1.
K o n r a d Ernst Samuel, geb. zu Stettin am 31. Oktober 1865. Kaufmann in Stettin.    
*10.2.
J o h a n n a Marie Elisabeth, geb. zu Stettin am 1. November 1867.    
*10.3.
E r i ch Rudolph Wilhelm, geb. zu Stettin am 22. März 1869. Kaufmann in London.    
*10.4.
Käthe Charlotte Anna, geb. zu Stettin am 17. Mai 1873.    
*10.5.
B a r n i m Georg Bernhard Franz, geb. zu Stettin am 3. Juni 1876. Gymnasialschüler daselbst.    
*11.
G e o r g Friedrich Lemke, geb. zu Pasewalk am 13. September 1838. Kaufmann in Königsberg i Pr.
*Ehefrau:
Amalie Bertha M a r i e, geb. Eckhardt, geb. zu Stuttgart am 26. Mai 1 848
   
11.1.
Gottlob AIfred A I e x a n d e r Lemke, geb. zu Königsberg i/Pr. am 30. April 1874.    
11.2.
Ernst Erich G e o r g Lemke, geb. zu Neuhäuser bei Königsberg i/ Pr. am 25. Juli 1875.    
11.3.
W a l t e r Oskar Lemke, geb. zu Königsberg i/Pr. am 19. April 1877.    
11.4.
Paul H e r m a n n Lemke , geb. zu Königsberg i/Pr. am 18. Oktober 1879.    
11.5.
Ma r i e Auguste Adelgitha Lemke, geb. zu Königsberg i/Pr. am 26. Oktober 1880.    
11.6.
Marie O t t i I i e Lemke, geb. zu Königsberg i/ Pr. am 27. December 1881.    
11.7.
E l i s a b e t h Auguste Lemke, geb. zu Königsberg i/Pr. am 17. September 1883.    
*12.
P a u l Friedrich Wilhelm Lemke, geb. zu Pasewalk am 11. Januar 1841. Lebt als Kauf mann in Königsberg i/Pr.    
*13.
M a r g a r e t h e Elisabeth Lemke, geb. zu Pasewalk am 11. Januar 1841. Früher Lehrerin, lebt jetzt in Berlin, künftig in Heidelberg.    
*14.
Ernst Eduard Lemke, geb. zu Pasewalk am 19. März 1844. Buchhändler in New-York (Firma: B. Westermann & Co.).
*Ehefrau:
Adelgitha, geb. B l a ck w e l l, geb. zu Penny-Bridge (New-York) am 30. Januar 1849.
   
 
14.1.
Ernst Gustav Lemke, geb. zu New-York am 31. Januar 1877    
 
14.2.
Georg R o l a n d Lemke, geb. am 20. Mai 1880, zu Astoria, N.-Y.    
 
14.3.
Hildegard Lemke, geb. am 11. Oktober 1882, zu Astoria, N.-Y.    
 
14.4.
M a r i e Auguste Lemke, geb. am 26. März 1884, zu Astoria, N.-Y.    
 
14.5.
K a r l Wolf gang Lemke, geb. am 14. Juni 1886, zu Astoria, N.-Y.    

 


Geschichte des Familientages.

Die Familie ist der erste und engste Kreis,
in welchem wir unser ganzes menschliches
Wesen wiederfinden, uns in uns befriedigt
und bei uns selbst daheim fühlen.
W. H. Riehl.


Die vorstehenden Worte des bekannten Kulturhistorikers führen mitten hinein in den Gedankenkreis, welchem die folgenden Zeilen gewidmet sind.

Das Bedürfniß des Sichfindens in dem gemeinsamen Gefühle der Familienzusammengehörigkeit war unter den Lebenden, welche dem Gustav Lemke'schen Stamme nach Abkunft und durch Angliederung angehörten, immer rege und wirksam gewesen und theilweis hatten Zusammenkünfte wohl einmal stattgefunden, u. A. im Jahre 1880; aber Alle einmal gleichzeitig an einem Orte zu versammeln, hatte sich bis dahin nicht verwirklichen lassen. Die Familienmitglieder wohnten zerstreut, je nachdem die Wogen des Lebens sie getragen hatten, bis sie seßhaft geworden. Den Jüngsten der jetzt ältesten Generation hat sein Geschick sogar über den Ocean zu dauernder Ansiedelung geführt.

Als nun die Nachricht kam, daß dieser Jüngste („den Kleinen" nennt ihn heute noch die Familientradition, obwohl er hoch und breit sich ausgewachsen hat) nach mehr als zehnjähriger Pause in Begleitung seiner Gattin den heimischen Boden besuchsweise wieder betreten werde, gab dies der Aeltesten des Geschlechts die Anregung, die Abhaltung eines Familientages zu betreiben. Dieser Plan fand allgemeine Zustimmung; aber erst nach vielen Mühen und ausgedehntem Briefwechsel gelang es, den Treffort und Tag der Zusammenkunft festzusetzen.
Ernst und Adelgitha Lemke luden die Familie zur Feier eines Familientages auf den 26. Juni 1891 nach Berlin und zu einem Mittagsmahl im Restaurant des „Kaiserhofes" daselbst (am Willhelmsplatz) ein.
Frohbewegt und erwartungsfreudig trafen die Theilnehmer meist schon am 25. Juni ein. Der Vorabend wurde gemeinsam im Garten-Restaurant des „Hotel Bellevue" (am Potsdamer Platz) verbracht, wo angeregte Unterhaltung und erfreuliche Leistungen in Vertilgung von Speise und Trank Zeugnis ablegten, daß das Geschlecht sich geistig und körperlich auf einem bemerkenswerthen Stande der Gesundheit erhalten hatte.

Der nächste Morgen führte nochmals eine Vorvereinigung vieler Theilnehmer im Zoologischen Garten herbei, bis die Mittagsstunde, ein Uhr, Alle in das Festlocal rief.
Bevor nun berichtet wird, wie der Familientag weiter verlief, muß zeitlich etwas vorgegriffen werden, um zu erklären, wie es gekommen ist, daß das Nachfolgende, anftatt ein einfaches Referat zu werden, zu einem auf Documente gestützten und diese im Wortlaute bringenden Geschichtsbilde sich erweitert.
Schon während der Tafel war der Wunsch entstanden, die während derselben gehaltenen, von lebhafter Geselligkeitsstimmung eingegebenen und getragenen, meist improvisierten Reden nicht der Vergessenheit anheimfallen zu lassen und dieser Wunsch fand wenige Tage später Ausdruck in einem Schreiben, dessen wesentlicher Wortlaut hier folgt:
„Den Theilnehmern an dem kürzlich in „Berlin" abgehaltenen Lem(c)ke'schen Familientage widme ich die Mittheilung, daß es vielseitiger Wunsch ist, die gehaltenen Vorträge und Reden durch Drucklegung der Vergessenheit zu entreißen.

Ich denke, daß dadurch Allen ein werthvolles Erinnerungsblatt an die schönen Tage vom 25. bis 27. Juni d. J., sowie den Erlebenden und späteren Generationen eine Anregung gegeben werden wird, den Gedanken des Familienzusammenhanges lebendig zu erhalten und - so oft sich eine passende Veranlassung bietet - durch eine Zusammenkunft neu zu bethätigen.
Dieser Ausblick in die Zukunft möge die Bitte rechtfertigen:
es wolle jeder Sprecher des Berliner Tages mir eine Niederschrift seiner Rede (oder Reden) baldigst zusenden und aus seiner Erinnerung zugleich brieflich mittheilen, in welchem Zusammenhange, wenigstens in welcher Reihenfolge, die Vorträge gehalten worden sind.
Das letztere ist erwünscht, weil die Absicht besteht, das Eingelieferte in einer kurzen Monographie - Veranlassung, Entstehung, Verlauf und Abschluß des Festes schildernd - zu verwerthen."
Der Erfolg war der erwünschte, indem sämmtliche Redner und Rednerinnen die gehaltenen Vorträge schriftlich feststellten und der Redaction dieser Schrift einreichten.
Das Festmahl wurde nach folgendem Programm hinsichtlich der leiblichen Genüsse erledigt und scheint allen Theilnehmern sowohl gut gemundet zu haben, als auch wohl bekommen zu sein.


 

Speisenfolge.

Krebssuppe.
Kraf tbrühe.

Ostender Steinbutte mit Holländischer Sauce,
Neue Kartoff eln.

Rehrücken mit Gemüsen.

Französische Hühner,
Salat und eingemachte Früchte.

Gefrorenes und Erdbeeren.

Nachtisch.


Speisen und Weine waren gut. Als besondere Würze aber haben die während des Mahles gehaltenen Reden gedient, deren Wortlaut nun folgt. (Es wird nur der Name des Sprechenden und dannder Vortrag gebracht. Die Sprecher der zweiten Generation sind durch Hinzufügung des väterlichen Vornamens in ( ) näher bezeichnet.)

Barnim (Hugo)
(an die Tante aus Amerika bei Ueberreichung eines Rosenstraußes.)
 

Der Tag, den heute wir begehen,
Er gilt dem „K l e i n e n ", drum verzeiht,
Wenn i ch, d e r K l e i n s t e, mir genommen
Das erste Wort zum Feste heut.

Der schnelle Kiel nach langer Trennung
Trug heim Dich in das Vaterland,
Willkommen heut Dir drum in Freuden
Der Schwestern und der Brüder Hand.

Willkommen wir, die fröhlich grünen
Am alten kräft'gen Lemkestamm;
Mit Frauen, Kindern und Gevettern,
Nach alter Sitte lobesam.

Willkommen Dir! den ungebeten,
Wie ich vernahm, der Storch gebracht
Und welchen dennoch hold die Muse
Bei der Geburt schon angelacht.

Willkommen Dir, der schnell erblühend
Ein Heim sich schuf im fernen West,
Und dort im heil'gen Dienst der Muse
Dem Storche baute selbst ein Nest

Das Nest, das dort Dich f estgehalten,
Mit Rosen lieblich ist's umkränzt,
D'rin Deiner Kinder leuchtend Auge
Dir liebevoll entgegen glänzt.

Und ihr, die selber eine Rose,
Mit Rosenketten dort Dich band,
Willkommen ihr! den Strauß von Rosen
Leg' grüßend ich in ihre Hand.

Wie diese Blumen, hold und duftig,
Ich eng verbunden reiche dar,
So blühe sie in Rosenschönheit
Mit Dir noch manches liebe Jahr.

 

 

Ernst.

Liebe Geschwister, Nichten, Neffen, Vettern und Basen! Es ist die erfreulichste Erfahrung meines Lebens, daß meiner lieben Frau und meine Ankunft in Europa auch diesmal die Veranlassung zu einem Familientage giebt und daß ich die Auszeichnung habe, Euch - Dank den unermüdlichen bemühungen Tante Marie's - in der Hauptstadt des Reiches zu diesem, wenn auch nicht frommen, doch christlichen Essen vereinigen zu können. Diese seine Unterscheidung zu machen lernte ich auf der Suche nach einem für unter Festmahl passenden Platz in einem jüdischen Vereinslokal, in welchem f r o m m e Mahlzeiten für semitische Glaubensgenossen, für gewöhnliche Menschen aber nur christliche angerichtet werden. Aus Rücksicht auf Bruder Paul habe ich von der Wahl jenes sonst hübschen Saales Abstand genommen.
Auch in anderer Beziehung konnten wir der alttestamentlichen Vorschrift, wie im Buch Leviticus zu lesen, nicht nachkommen, jedes siebente Jahr als ein Jubeljahr zu feiern. Wir mußten uns bis jetzt mit einem elf jährigen Turnus begnügen. Hoffentlich schafft hier die Zukunftt Besserung.
Mit Dankbarkeit für Euer Erscheinen begrüßen Kitty und ich die Anwesenden, mit Dankbarkeit auch dafür, daß es uns vergönnt ist, in genußfroher Gesundheit alle lebenden Geschwister, wie vor elf Jahren hier wieder versammelt zu sehen. Nur Bruder Julius' liebe Frau ist seit jener Zeit aus unserm Kreise geschieden. Diesmal freut es uns aber, auch die zweite Generation mit Ausnahme von Elsa Weber und Gemahl nebst Kindern, ferner Onkel Georg's und unseren eigenen Kindern vollzählig um uns zu sehen. Die Königsberger Kinder haben sich telegraphisch eingestellt, die Amerikaner sind wenigstens in effigie gegenwärtig. Wir heißen ferner herzlich willkommen Bruder Julius' jüngeren Schwiegersohn und wie uns wird es Euch allen besondere Freude sein, daß mit seiner lieben Frau ein Sohn des greisen Seniors unserer Familie, des Repräsentanten der ältesten Generation, des Bruders unserer unvergessenen Mutter, unseres Onkels Sehmsdorf, unter uns weilt.
Ich darf in aller Namen wohl hinzufügen, daß wir Ursache haben auch dafür dankbar zu sein, daß es uns allen gelungen ist, jenen Idealzustand menschlichen Daseins zu erreichen, - wie unser Vater es weniger parlamentarisch als drastisch ausdrückte - mehr oder weniger, jeder nach seinen Dimensionen, einen Boden in den Hosen zu haben. Unsere Lebensarbeit ist nicht ohne ein gewisses Maaß des Erfolges geblieben. Unser Name wird mit Achtung genannt. Unsere Familien gedeihen. Liebe Frauen, nach Salomo ein köstlicheres Besitzthum, denn Gold und edle Steine - er mußte etwas davon wissen, denn er hatte deren ein abgestrichenes Tausend - winden auch für uns Rosen in's Leben. Unsere Kinder wachsen heran zu unserer Freude. Wir haben, scheint es, keine Veranlassung, der Furcht Raum zu geben, daß der Name Lemke mit über ohne c, in absehbarer Zeit aussterbe. Onkel Paul freilich, hat in seiner Weise, diese für die Civilisation bedenkliche Kalamität herbeizuführen, sein bestes Streben eingesetzt. Aber er hat so viele andere gute Eigenschaften und wir anderen haben so viele Stammhalter in beiden Hemisphären, daß wir ihm gern verzeihen.
Ueber die Hälfte meines Lebens habe ich jetzt schon in Ländern anderer Zunge als unserer eignen geliebten Deutschen, nicht ganz zu meinem Nachteil, verlebt; habe ich doch jenseits des großen Wassers mein Köstlichstes, mein Weib gesunden.Ich will noch in ihrem Namen danken für die geschwisterliche Aufnahme, die sie bei allen gefunden hat, so dass sie, die Amerikanerin, sich voll und ganz heimisch in unserm Vaterlande fühlt. Für mich selbst will ich noch sagen, dass, obwohl Bürger der Amerikanischen Republik, ich doch vertrauen darf, kein Fremder hier zu sein oder je werden zu können. Ich suche mir und meinen Kindern die Vorzüge zu erhalten, die unserm Vaterland seine weltgebietende Stellung geben und die wir Deutschen im Ausland vielleicht höher schätzen und richtiger würdigen können, als die Reichsangehörigen.      Aber die Gabe des fließenden Worts ist mir nicht in dem Maße gegeben und auszubilden vergönnt, als meinen lieben beredteren Brüdern. Von ihnen und der jüngeren Generation zu hören, will ich daher nicht ferner hindern und mit der Bitte schließen, die vollen Gläser mit mir zu leeren auf das Gesamtwohl der Familie
Lemke.

Sie lebe hoch!


 

Marie.

Zum 26. Juni 1891 in Berlin.
(Hierzu folgt am Schlusse ein erläuternder Anhang.
Dazu bitte auf die Ziffern klicken. )

 

Die Petition ist zwar nicht angenommen,
Nach der bei uns auch Frau'n zu Worte kommen,
Doch da ich nur von Männern reden will,
Hält man mir heute wohl ein wenig still.
Lasst mich von früher Euch etwas erzählen
Und „Stadt=Lemken's Jungens" 1) zum Trinkspruch wählen.
Die Lemkeschen Jungens waren wohlbekannt
Im lieben Städtchen an der Ücker Strand.
Sie waren in der Jugend nicht ganz fein,
Sie warfen Herrn Wriedt 2) die Fenster ein;
Sie fliegen auf die Bäume und die Dächer,
Rissen in Stiefel und in Hosen Löcher,
Verstanden gute Hiebe auszuteilen,
Mit Straßenjungen sich herumzukeilen;
Bereiteten auch manche bittre Qual
Dem wackern Herrn Konrektor Rosenthal 3)
- Von Herrn Subrektor Kopp 4) gar nichts zu sagen -
Der hatte sicher sie allesamt im Magen.
Doch waren sie nicht schlimm und auch nicht faul,
Und keiner war gefallen auf das Maul.
Das Glück hat ihnen zwar nicht stets gelacht,
Doch haben alle es zu was gebracht,
Als Feuer=, Zucker= aber Schuldirektor,
Als Landwirthschafts=, Holz= oder Ziegelei-Inspektor,
Sind wohlbeleibte, angeseh'ne Herrn geworden,
Und einer hat's gebracht sogar zu einem Orden.
Wir dürfen also wohl zufrieden sein
Und uns des heut'gen Wiedersehens freu'n.
Im Namen unsrer Eltern sprech ich's dankbar ans:
Die Jungens brachten Ehre in das Haus.
Und oft, um Teil zu haben an der Ehre,
Wünscht ich, dass ich doch auch ein Bruder wäre.

Mein Spruch ist aber hiermit nicht zu Ende,
Und wenn ich wohlgeneigte Ohren fände,
Könnt ich von manchen heiteren Geschichten
Ans der Familienchronik hier berichten,
Die wohl mit mir dereinst zu Grabe gehn,
Da nirgends sie bis jetzt geschrieben stehn.

Aus unsrer ält'sten Jungens Jugendtagen
Weiß ich sehr viel Genaues nicht zu sagen.
Ich war damals noch selber eine Range,
Und kaum, wie sie, vor dem „K a h n b o r e r" 5) bange.
Wir haben uns im Züsedomer Pfuhl „gesült",
In Pasewalk aus dem „M e r ch t" 6) Holzbock 7) gespielt,
Und mancher von den Ackerbürger=Wagen
Hat uns zur „K a b e l" 8) und auf's Feld getragen,
Der jetz'ge Senior von den Lemke=Knaben
Besaß schon jung besondere Geistesgaben.
Er liebte früh Hühner und Enten futtern.
Und war erklärter Liebling von Großmuttern.
Ein Held im Schwimmen, Klettern, Necken,
Und ohne Achtung vor Hosen und Röcken
Ritt gern er auf Kameelen 9), macht auch manche gute
Reitübung auf Ackerbürger Dickmann's alter Stute 10)
Mit Straßenjungen hatt' er manchen Strauß,
Haut seinen ältern Bruder oft heraus.
Schulfleiß war anfangs gegen sein Gewissen,
Doch hat er sich ja glänzend rausgerissen
Und ist berühmt durch sein vielseitig Wissen.
Hering und Käse waren seine Leckerbissen.

Der heute zweite von den Lemke=Jungen
Hat aus einem ganz andern Ton gesungen,
Er war nicht wie die andern Großen wild,
Vielmehr ganz „plau" 11) und liebevoll und mild.
Nur selten stieß auch ihn einmal der Bock,
Sonntags trug er den „ Zwanzigthaler Rock 12)."
Er liebte alle Menschen in der Welt,
Allein der Nachbar Bäcker ihm missfällt.
Der bäckt die Salzkuchen 13) ihm viel zu klein,
Drum führte man, darauf zu sitzen ein.
Er liebte selbst - Paul mög es ihm verzeih'n -
Ein nachbarliches Judentöchterlein!
Für's Lernen hatt' er anfangs wenig Sinn,
Schlich weinend morgens zu „Klein = Schulzen" 14) hin,
Doch besserte er sich nachher gar sehr,
Ward Primus und auch manchmal Schützenkommandeur 15).
Ich höre, dass er sich noch jetzt beklagt,
Ich hab' mit Waschen ihn zu sehr geplagt.
Doch wisst, die jetzigen Herrn Direktoren
Hatten es damals stark hinter den Ohren,
Und ihre sechzehn lieben Jungenshände
Verhießen Körperwachsthum ohne Ende 16).

Der Dritte war ein lieber kleiner Mann,
Zog immer willig Mädchenkleider an,
Ließ täglich sich das Haar kräuseln und brennen,
Bis man anfing, M a m s e l l ch e n ihn zu nennen.
Nachher hieß er dann schlechtweg nur K o u s i n e ,
Und hatt', wer glaubt es jetzt, ganz sanfte Miene.
Als einst von „Buten-Lemken's" heim wir gingen,
War über die Schneidmühlenbrück'' 17) er nicht zu bringen
Und endlich sagt er, scheu an mich geschmiegt:
„Es geht nicht, denn ich hab' heut schon gelügt."
Das Schmiegen gab er aber gänzlich auf
In seinem spätern Knaben=Lebenslauf.
Er wollte nie mit seinen Schwestern geh'n,
Dass man ihn nicht mit Mädchen sollte sehn;
War gegen Damen nicht, wie jetzt, verbindlich,
Als Sekundaner aber noch ganz kindlich.
Spielt fröhlich damals draußen in Grünhof
Mit seinen jüngern Brüdern „ M a l a k o f f ' 18).
Ich glaub', er muss damals gelernt schon haben
Sein jetzt berühmtes „Aus=der=Erde=graben" 19).

Der nächste Lemke-Junge war ein Ritter 20),
Sein Wort war groß, sein Heldenthum nicht bitter;
Hatt' er 'mal auszufechten einen Strauß,
Rief er: „Tod oder Leben" und riss aus 21).
Stets war er im Erzählen unerschrocken,
Hatt' viele Freunde und trug blonde Locken,
Doch seit verfolgt ihn einmal eine Kuh,
Schloss bei Gefahr er gern die Augen zu.
Die besten aber seiner Heldenthaten,
Sind ihm im Paradies von Graseberg 22) geraten.
Dort trieb er nicht nur Studium mit Witz,
Sondern auch Schweine wohl nach Stepenitz.
Lernte „b e o b a ch t e n " 23)  bei Herrn Lehrer Timm,
Machte viel Spaß, doch war durchaus nicht schlimm.
So wuchs er ländlich auf, allein ein wenig später
Formirt er sich zum angenehmen Schwerenöther.
Ein guter Tänzer, voll von Heiterkeit und Scherz,
Erregte und bezwang er manches Mädchenherz,
Bis endlich Hymen's Fackel ihm geleuchtet,
Und er das alles seiner Frau gebeichtet.

Um auf den nächsten Lemke nun zu kommen
Gesteh ich frei, er war erst nicht willkommen
Als ihn der Storch zu Zwei'n in's Haus gebracht,
Und die Bemerkung ward deshalb gemacht:
„De oll Jung wart hüt woll noch afnibbeln" 24).
Doch seht den „Onkel B ü s ch" 25) Euch heute an:
Er hat den Gefallen ihnen nicht gethan 26),
War bald der niedlichste von allen Sieben
Und ist Familienliebling auch geblieben.
War allezeit ein grundehrliches Haus,
Sagt seine Meinung gerne frei heraus,
Fragt seinen kleinen Lehrer mit freundlichem Ton,
„Herr Krüger bist Du eingesegnet schon ?"
Wie konnt er mit den Andern sich vergnügen,
Sie pflegten in der Ücker viel zu liegen,
Zu gondeln hin und her so viel sie wollten
Und fielen sie beim Schaukeln von den Fischerpolten,
Hielt einer fest den Andern an dem Bein 27),
Bis Hilfe kam auf ihr vereintes Schrei'n.
Im Graseberger Forst war Paul einmal verschwunden,
Hat furchtlos wieder bald sich eingefunden.
Antisemit ist er ohn' Lug und Trug,
Ein Kinderonkel wie er steht im Buch.

Dem besten aber von den Lemke's allen
Soll nun zum Schluss ein Jubellied erschallen.
„Der Kleine" hieß er und er war die Kron'.
Am liebsten aß er aus der „Portion“ 28).
Im Anfang war er ungemein gefräßig,
Schrie nach der Milchflasche oft ganz unmäßig.
Sogar mit Nachdruck mitten in der Nacht,
Bis seine Schwester ihn zur Ruh gebracht.
Die Schwester war dafür ihm auch ein „Greul
Vor seinen Augen" 29), doch ich hoff', zu seinem Heil.
Verzogen ward genug er von Großmuttern,
Die Jungen nannten ihn den Doktor Luthern.
Und fuhren ihn mit „Karo" 30) oft spazieren;
Er war altklug, ohne viel Worte zu verlieren.
Die Zwillinge regiert er meisterhaft,
Denn seinem Appetit entsprach auch seine Kraft.
„Gretchen, giebst du mir nicht dein Brod, so hau ich dich
Und wenn ihr mir was thut dann schreie ich."
Auf das Signal Großmutter stets erschien
Und tröstete mit weiteren Stullen ihn.
Er hatt' trotz der Methode ein sehr gutes Herz
Und gute Einfälle in Ernst und Scherz.
Einst als wir alle auf den Kirchhof gingen,
Um „ F i k e B u tz e n " 31) Blumen hinzubringen,
Ward dieser guten Seele Lob gesungen,
Und tief gerührt vernommen von den Jungen.
Da fragt der Kleine: „Kommt bald eine neue Fike?"
Und als er hört, sie käme nie zurücke,
Sagt er treuherzig: „Ja, warum denn nicht?
Wir haben doch nen neuen Burgemeister 32) gekriegt!"
Und diesen Kleinen haben wir verloren
Denn er hat sich ein andres Land erkoren !
Doch da dies Land ihm reichlich alles beut,
Was Menschen brauchen zur Glückseligkeit,
Ein liebes Weib und hoffnungsvolle Sprossen,
Ein gut Geschäft, Tennis= und Scat=Genossen,
So wollen wir ihn nicht verloren nennen,
Und ihm das Doppelvaterland von Herzen gönnen,
Wenn er von Zeit zu Zeit nur unter uns erscheint,
Die Lemkes so wie heut um sich vereint,
Sei nicht allein sein Lob von uns gesungen,
Es sei auch Alles was er sich errungen
Ein Beispiel für die jüngern Lemke=Jungen.

Und nun lasst uns zum Schluss das Glas erheben
Stadt=Lemkens Jungen alle sollen leben!"

 

 

Julius.

Die bisherigen Reden haben Lebenden gegolten und außerdem ist uns eine köstliche Epistel beschwert worden, welche sich in ebenso liebenswürdig anmutender wie humoristischer Weise mit Taten ans dem Jugendleben der Brüder Namens Lemke, erste Generation, beschäftigt.

Ich nehme das Wort zu ernsterem Ausblick, der sich aber nicht umgehen lässt weil es gilt einen Dankeszoll abzutragen, der mir - wie gewiss auch allen Anwesenden - auf dem Herzen liegt und darum nicht un- ausgesprochen bleiben kann.

Ich will der Stammeltern, zunächst der Lemke'schen gedenken.           Wir Geschwister dieses Namens sind nach dem Naturgesetz der ersteren Kinder, wir sind es aber auch in einem höheren Sinne, denn aus Lehre und Beispiel der Eltern haben wir die Richtschnur genommen, nach der wir den Grund bauten, auf dem unser Leben steht, den Grund, auf dem allein uns möglich war, den uns überlieferten 'Namen in den ihm gebührenden hohen Ehren zu erhalten, Menschenwürde, Familiensinn und Geschwistertreue zu wahren - „freiwillig geübt und doch ein Sicheres für alle Zeiten."

Aber nicht nur der Lemke'schen, sondern auch der Stammeltern derjenigen Familien will ich gedenken, welche den Lemke'schen Brüdern brave und liebenswürdige Frauen gegeben haben, der Kirchhoffs, der Eckhardts, die zweimal vertreten sind, von Leipzig und Stuttgart, der Boettchers, der Gieses und der Blackwells.        Auch sie haben - und zwar reichen - Antheil an dem, was uns heute beglückender Besitz ist, ein Erbgut gleichsam, welches wir werden zu vererben haben an die nach uns kommenden Generationen. Mögen diese dasselbe ebenso, wie es bisher geschehen, mit Erfolg und ungeschmälert zu erhalten bestrebt sein.

Die Voreltern leben dem irdischen Wortverstande nach nicht mehr, gleichwohl sind sie nicht todt, denn todt ist nur, wer vergessen wurde. Die Manen unserer Voreltern aber sind bis heute - unserem geistigen Auge sichtbar - also auch in dieser geweihten Stunde - mitten unter uns geblieben.

Einen Trinkspruch auf sie vermag ich nicht auszubringen, aber lasst mich zum Schluss den Wunsch und die Hoffnung aussprechen, dass das Gedenken an sie in unserer Familie immerdar lebendig bleiben möge!

Therese.

Da die Reihe des Redens jetzt an meinem Mann sein soll, dieser aber arges Kopfweh hat, so stehe ich für ihn auf, denn eine gute Frau soll ihren Mann in allen Dingen vertreten, selbst im Redenhalten. Ich bitte Euch nun Alle, die Gläser zu erheben und sie hell aneinander klingen zu lassen auf das Wohl unserer Schwester Marie, die uns eben durch den Vortrag in Versen, die Kinder= und Jugendzeit der sechs hier versammelten Brüder Lemke betreffend, sehr erfreut hat. Schwester Marie soll leben, hoch !

H u g o.

Es ist mir eine besondere Freude, hervorzuheben, welchem Umstand wir den Genuss des heutigen Tages und dieser festlichen Zusammenkunft verdanken. Wenn unser langersehnter „Kleiner" nicht von dem Verlangen getrieben, seine Geschwister und seine Heimath wiederzusehen, auf einige Zeit Amerika=müde geworden und seine holde Gattin Kitty ihn nicht über den Ocean begleitet hätte, würde uns der äußere Anlass und Anstoß dazu, wie er jetzt vorliegt, gefehlt haben. Außerdem aber sind wir, die hier au diesem Tisch jetzt froh vereint sind, ihrer besonderen Einladung als ihre Gäste gefolgt, und so sind sie für uns in mehr als einer Weise Veranlasser, Urheber und Mittelpunkt dieses Festes geworden. Darum soll, nachdem ihnen schon vorher herzliches Willkommen zugerufen ist, jetzt auch unser besonderer Dank mit warmem Herzen ausgesprochen werden. Die räumlich von uns am meisten getrennten und unserem Herzen doch so eng verbundenen Mitglieder der Familie, unsere Amerikaner, Ernst und Kitty leben hoch! hoch! hoch!

Georg.

Ich gebe zu, dass ein Wagniß ist, nach so ausgezeichneten Vorrednern die Unterhaltung zu unterbrechen und die Aufmerksamkeit für mich in Anspruch zu nehmen, aber ich will darum doch nicht die Gedanken unverlautbart lassen, mit welchen ich zu diesem frohen, festlichen Tage gekommen bin.

Es lag zwar in meiner Absicht, mit diesem Toast meine Schwägerin Kitty zu feiern und zu bewundern, sintemal ich sie aber nach kompetentem Urteil schon gestern Abend gebührend gefeiert und auch be- wundert habe, werde ich die Sonne meiner Beredsamkeit aufgehen lassen über einem anderen Mitgliede der amerikanischen Familie, und damit meine Rede einen weiteren Inhalt habe, als den sonst üblichen oder herkömmlichen, werde ich einfließen lassen die Geschichte, wie es gekommen, dass der Ernst Lemcke (mit dem ck) einstmals ein Buchhändler geworden ist, und zwar ein Buchhändler für in= und ausländische Litteratur. –

Zu einer gegebenen Zeit wohnte mein sel. Vater in Stettin, im Hause Gr. Domstraße 22 parterre - Unterbrechung: 21. - richtig! - Das Haus ging nach hinten durch, - eine Treppe hoch wohnten Lenz und Frau, zwei Treppen hoch aber die Krone des Hauses, nämlich der alte Grunow. Das tägliche Morgengebet wurde vom alten Grunow gesprochen, und zwar so laut und vernehmlich, daß man es bis in den Keller hören konnte. Selten fiel die Bel=etage ein, desto häufiger das Parterre, und zumeist war ich, verschuldet oder unverschuldet, die Ursache des Zornes unseres guten Alten.

Unter solchen Verhältnissen geschah es, daß unser Kleiner Tertianer wurde. In dieser neuen Lebensstellung entschloß er sich, was ja auch Jedermann begreiflich finden wird, seine sämmtlichen Gesammelten Werke zu schreiben. Der erste Band ist fertig geworden. Derselbe wurde von ihm auch sofort eigenhändig eingebunden und zwar nach allen Regeln der Buchbinderkunst. - Werthvoller aber als der Einband war der Inhalt des bedeutenden Buches.            Zunächst brachte es eine kurzgefaßte Darstellung der Geschichte der Grirönen (eines Kulturvolks, welches allerdings noch erst entdeckt werden muß). Dann folgte eine erhebliche Zahl von Gedichten - alle von ihm selbst verfertigt. - In einem derselben wird eine Ge­spielin seiner Jugend besungen, und der Kardinalvers lautete nach meiner Erinnerung etwa so :

„Und so spielten wir dann weiter,
Unsre Spiele waren neu.

Stets vergnügt und immer heiter
Schüttet sie mich ganz voll Heu!"

Nüchterne Alltagsmenschen glaubten aus diesem Vorgang zweierlei Schlußfolgerungen ziehen zu müssen: Entweder würde der Junge ein sehr tüchtiger Buchbinder oder ein brauchbarer Schriftsteller werden. Aber alle diese Leute hatten nicht gerechnet mit dem italienischen Temperament unseres sel. Alten, welches Temperament ihm gestattete, in solche Verhältnisse viel schärfer und tiefer zu blicken. Er sagte sich:

Wenn ein Mensch im Stande ist, bei eintretendem Mangel in seinem Büchervorrath sich den Abgang aus eigenem Wissen zu ersetzen, und wenn er dann noch weiter im Stande ist, diesen Ersatz auch selbst einzubinden, hat er einen so großen Vorsprung vor allen seinen Konkurrenten im Buchhändlergeschäft, daß ein solcher Junge ein geborener Buchhändler ist.

Mein guter Alter war insofern eine konsequente Natur, als er entweder sehr beharrlich war, oder - gar nicht. - In diesem Fall war er nun sehr beharrlich und so wurde denn ein Angriff des Professor Calo auf seine Entschließung leicht und glänzend abgewiesen. Nicht lange daraus wurde dann unser Kleiner eingeschrieben bei Herrn Léon Saunier in Stettin, Buchhandlung für in= und ausländische Litteratur.

Mein seliger Alter hat noch bis in die Mitte des Jahres 1873 gelebt und zweifellos von seiner Beharrlichkeit viel Genugtuung und wahre Befriedigung gehabt, oder doch haben können.

Wir alle haben Beides jedenfalls im höchsten Maaß, und wenn es nun erlaubt ist, an diese Betrachtungen einen Wunsch zu knüpfen, so ist es der, daß einstmals Bruder Ernst's Junge, und zwar der mit dem Lemke'schen Gesicht und den langen Höschen, ein Buchhändler wird, ein Buchhändler nach seiner Art, und zwar ein Buchhändler für deutsche und ausländische Litteratur.         Darauf erhebe ich mein Glas und sage: Der k l e i n e  kommende Mann, er lebe hoch!

Margarethe (JuIius).

Mein Vater hat so ernst und feierlich gesprochen, daß es Einem zu Muthe ist, als sei man in der Kirche. Dennoch kann ich - da ich die Aelteste der jüngeren Generation bin - nicht den lateinischen Spruch beherzigen: mulier taceat in ecclesia, sondern ich fühle mich berufen, im Namen der jüngeren Generation auf meines Vaters Rede zu antworten.

Er sagt, daß die Brüder ihre gerühmten Vorzüge den Vorfahren verdankten, die sie geistig und körperlich so ausgestattet und begabt hätten, daß sie das werden konnten, was sie sind. Wir, als heranwachsende Generation, die wir in unsern Vätern und Müttern, und - weiter zurückgehend - in unserer herrlichen Großmutter, die besten Vorbilder für ein tüchtiges Leben haben, wir versprechen nun, daß wir unseren Vorbildern nachleben wollen, streben, ihnen gleich zu werden. Mit Dank­barkeit sehen wir zu ihnen hinauf und in dem innigen Wunsche, ihrer werth zu sein, sagen wir: sie leben hoch !

Hugo.

Unsere Schwester Marie hat mit treuem Gedächtniß und sinnigen Worten uns die Eindrücke, Erlebnisse und Aussprüche unserer Kinderjahre vergegenwärtigt, welche ihr besonders charakteristisch erschienen, und uns damit alle hoch erfreut. Alles freilich, das dahinein schlägt, hat sie ja nicht erwähnen können und auch nicht wollen. Darum laßt mich meinen Trinkspruch anknüpfen an ein Wort, das aus ihrem Munde mir in meinen Knabenjahren viel in das Ohr geklungen und darum treu in der Erinnerung geblieben ist. Das Wort lautet: „Du wirst nie eine Frau bekommen." Nun habe ich allerdings nicht blos damals in Bezug ans meine Persönlichkeit ungefähr diejenigen Empfindungen gehabt, welche in dem bekannten Märchen: „Vom hässlichen jungen Entlein" diesem beigelegt werden. „Junge, wie willst Du jemals eine Frau bekommen?" hieß es, fort und fort.      Was man oft hört, glaubt man schließlich und so habe ich es denn auch der Schwester Marie auf das Wort geglaubt und sie hat vielleicht nur zu sehr recht gehabt, daß mir alle äußeren und inneren Vorzüge fehlten , die mich würdig machen konnten, eine Frau zu bekommen. Möglich ist, daß gerade dies Wort und das dadurch hervorgerufene Gefühl einen solchen erziehlichen Einfluss auf mich ausübten, daß ich schließlich doch eine Frau bekam. Ihr anderen Brüder seid mir darin mit gutem Beispiel vorangegangen, oder gefolgt, alle bis auf einen, der ein unverbesserlicher Junggeselle geblieben ist, aber bekanntlich durchaus nicht, weil er keine Frau bekommen konnte.       Indessen - was nicht ist, kann ja noch werden. Wir Geschwister wissen alle nun, wie viel wir für das, was wir sind und namentlich für unser inneres Leben unserer Mutter verdanken; auf der Mutter beruht oft am meisten das Wesen und die Art des kommenden Geschlechts, darum soll mein Trinkspruch den Frauen gelten, die uns die Hand zum Lebensbunde gereicht haben, die mit uns jetzt zum großen Lemkestamme gehören, den Müttern unserer Kinder, den Frauen die uns aus anderen Familien zugewachsen sind und jetzt mit uns den Namen Lemke tragen, der Geschiedenen zum Andenken, den Lebenden und Anwesenden zur Mitfreude Hoch! Hoch! Hoch!

Paul.

Wenn es auch nicht meine Absicht war, zu schweigen, so wollte ich doch abwarten, aus welcher Veranlassung ich zu sprechen hätte. Ich bin nun von verschiedenen Seiten dazu veranlaßt worden und muß, um diesen Angriffen zu begegnen, gewissermaßen aus meinem Vermögen sprechen. das heißt aus meinem Redevermögen, welches bei mir das bedeutend größere ist.

Es ist nämlich wiederholentlich darauf hingewiesen, daß ich das einzige noch ungepaarte Mitglied der Familie sei; dem muß ich aber entschieden widersprechen, um so mehr, als ich schon als Pärchen auf die Welt gekommen bin und somit gerade etwas voraus habe.

Ich kann auch nur hinzusetzen, daß dies Paar, meine Zwillingsschwester Margarete und ich, uns bis dahin immer treu gewesen sind. Von diesem letzten Gedanken der Treue ausgehend, wende ich mich an die heranwachsende Generation, wünschend: daß sie stets treu dem Geist und Sinn der Familie und des heutigen Tages weiter arbeiten und gedeien möge, sicher und wohlgemuth und im Besitz von ihren Gütern.
In diesem Sinne bitte ich mit mir anzustoßen auf das Wohl der „Jungen!"

Gustav.

Es war eigentlich nicht meine Absicht, heute einen Toast auszubringen, aber - weß' das Herz voll ist, deß' gehet der Mund über - ich will nur eines Verwandten gedenken, dem wir Alle zu ganz besonderem Danke verpflichtet sind, und spreche hiermit den Wunsch und die Bitte aus, daß wir einen telegrafischen Gruß senden, dem einzigen Bruder unserer Mutter, unserem alten Onkel Sehmsdorf in Bromberg. Onkel Sehmsdorf und seine Gattin, sie sollen leben hoch! hoch! hoch!

Dieser Vorschlag fand begeisterte Annahme und nachdem das „Hoch" verklungen war, wurde folgendes Telegramm abgesandt: „Sieben und zwanzig Lemkes, einschließlich Georg Sehmsdorf und Frau und Dr. Ziegner, zum Familientage in Berlin versammelt, senden dem Bruder ihrer Mutter und seiner lieben Frau herzlichen Gruß."

 

H e r m a n n (Gustav).

Unter den vielen bisher ausgebrachten Gesundheiten habe ich eine vermißt und da die älteren der jungen Lemke's nicht reden wollen, so bitte ich um Entschuldigung, wenn ich als einer der jüngsten das Wort ergreife!        Allerdings habe ich als „P ä t h" auch ein besonderes Recht au die Taute, deren ich jetzt gedenken will und fordere deshalb alle Anwesenden auf, mit mir anzustoßen und sich in dem Rufe zu vereinigen: Tante Gretchen lebe hoch! hoch! hoch!


Martha (Gustav).

Obgleich die Reihe der Toaste wohl zu Ende ist, möchte ich auch noch das Wort ergreifen und zwar möchte ich eine Aufforderung beantworten, welche vorhin an die jüngere Generation ergangen ist. Wir wurden aufgefordert, das Unsrige zur weiteren Ausbreitung der blühenden Familie Lemke beizutragen, indem wir durch Verknüpfung mit anderen Namen immer neue Glieder der Familie zuführten. Daraus antwortend wollte ich mir nur die Erklärung erlauben, daß ich meinen angeborenen Familiennamen viel zu lieb habe und viel zu stolz auf denselben bin, um ihn mit irgendeinem anderen zu vertauschen.     Ich will darin dem Beispiel folgen, welches der weibliche Theil der älteren Generation mir gegeben hat und auch - übrig bleiben. –

Nachdem noch Vetter Georg Sehmsdorf auf die gesammte Familie Lemke einen Toast ausgebracht hatte, bildete den Schluß der Reden Ernst's Gedicht.

1.

Wo eine Galaxie von Geniusen
Sich niedersetzet zum Symposion,
Tönt bald der Wechselsang der holden Musen,
Das Pfeilgeschwirr von Zeus' und Leto's Sohn.
Und seinen Hausbedarf an Dichtung heute
Macht sich der Deutsche selber, wie ihr wißt,
Besonders, wenn es lauter Lemke=Leute,
Was Euch zum Tort auch der New=Yorker ist.

2.

Der Pilgerreise Mittagshöhe haben
Wir überschritten, doch das Abendroth
Scheint auch den angegrauten ältern Knaben
Noch lustig in das gute Lebensbot.
Ich kann des Witzes Pfeile nicht versenden
Und akademisch schwer ist mein Humor;
Doch faß ich brüderlich Euch bei den Händen,
Und für den Rest schieb ich mein Weibchen vor.


3.

Sie steht zwar auf dem Kriegsfuß mit dem Dativ,
Und die Präfixe machen Schwierigkeit.
Präpositionen mit dem Accusativ
Sind ihr ein Gräul gewesen jederzeit;
Doch konnte richtig sie manipuliren
Den unserm Deutsch verlornen Optativ,
Als auf des jüngsten Eurer Brüder Girren
Ein englisches: Ich liebe Dich, sie rief.

4.

So hat der Lebensfreude heitre Sonne
Bisher beschienen unsre Lebensbahn.
Im fernen Westen weilet unsre Wonne,
Ein lustig, wohlgerathnes Fünfgespann.
Im Bilde nur sind heute sie zugegen
Die unsern Namen in der neuen Welt,
Hochhalten sollen, hoff' ich, allerwegen,
Bis diese Erde einst in Stücke fällt.

5.

Und so wie uns blüht Euch ein Kindersegen.
Die Welt ist groß und überall ist's schön,
Wo gute Menschen gute Sitten pflegen
Und muthig die erwählten Wege gehn.
Auf unsrer Kinder beide Vaterländer
Trinkt deutschen Weins mit mir ein letztes Glas,
Laßt wiederhallen es der Erde Ränder
Das Wohl Deutschlands! Das Wohl Amerikas!

Stürmisch rauschte darauf der Zuruf durch den Saal, einklingend in die alles beherrschende Stimmung, welche der Verlauf des Festes bis     dahin schon auf die Höhe gehoben hatte, über welche hinaus eine Steigerung kaum noch möglich erschien. Sämmtliche Teilnehmer waren von der allgemeinen Begeisterung mit fortgerissen worden; viele waren als warmherzige Redner aufgetreten und auch diejenigen, welche nicht gesprochen hatten, empfanden das Erhebende, das der Tag gebracht. Aus allen Gesichtern konnte man das Bekenntniß herauslesen:

Wir allesammt sind Glieder einer Familie und sind stolz darauf. Die Aufhebung der Mittagstafel bildete den Schluß der offiziellen Feier und es erfolgte dann eine Spaltung der Festgesellschaft, indem ein Theil derselben, meist die Jüngeren, einer Vorstellung des „Veilchenfresser" im „Berliner Theater" zueilten, während Andere eine Spazierfahrt unternahmen oder der Ruhe pflogen.

Es folgten noch: eine Abendvereinigung, wieder im Garten des Hotel Bellevue; am nächsten Tage, dem 27. Juni, ein gemeinsames Mittagessen in der Wohnung der Tante Marie und am Abend eine Zusammenkunft im Ausstellungspark.

Am nächsten Morgen begannen die Heimreisen.

Will man von dem, was der Familientag bot, die Summe ziehen, so war es die:
Die Erwartungen waren hohe, der Verlauf aber überbot sie derart, daß sich darauf die fröhliche Zuversicht aufbauen darf, die folgenden Zeiten werden weitere Familientage bringen, an innerem Werth und Wärme der Gesinnung und des Ausdruckes nicht nachstehend dem vom 26. Juni 1891.

Sei es so!

     
 

Anhang.

Erläuternde Bemerkungen zum Vortrage von Marie [auf Seite 7 bis 9].
(Um zu der jeweiligen Textstelle zurück zu kehren, bitte auf die Ziffer klicken.)

1. Die Familie Gustav Lemke wohnte zumeist innerhalb, die Familie des Bruders Carl Lemke außerhalb der Ringmauer der Stadt Pasewalk. Im Volksmunde wurden beide kurz als „Stadt=Lemkens" und „Buten (niederdeutsch) für Außen) = Lemkens" unterschieden.

2. Ein wohlwollender älterer Herr, der die - ja auch nicht böse gemeinten - Allotria der Jugend, weil sie ihn immer sehr höflich grüßte, mild beurtheilte.

3. und 4. Lehrer an der Höheren Bürgerschule.

5. Aus dem altniederdeutschen Kornbode (Bode=Diener) entstandene Bezeichnung für Kornbewahrer, Feldhüter. Die neuniederdeutsche Aussprache von „ Kahnbohrer" läßt sich durch unsere Schriftzeichen leider nicht wiedergeben.

6. Mundartliche Aussprache für Markt=(platz).

7. Ein Greifspiel, bei welchem jeder, der auf Holz steht, als im Mal (pax) befindlich) gilt.

8. Kabeln waren kleine Ackerstücke eines fruchtbaren Bruchlandes, auf denen die Bürger Gartenfrüchte, Gemüse, Kartoffeln u. dgl. anbauten.

9. Soll bei Anwesenheit eines herumziehenden Bosniaken, der außer Bären auch ein Kameel und Affen vorführte, vorgekommen sein.

10. Die Stute hatte einen so genannten Senkrücken, auf dem man wie in einem bequemen Sattel saß.

11. Verderbt aus „blau", was gut und schön im Superlativ bedeuten sollte.

12. Bezeichnet die subjective Auffassung von der Kostbarkeit des betreffenden Kleidungsstückes.

13. Locale Bezeichnung des üblichsten Frühstücksgebäckes.

14. Klein=Schulz und Groß=Schulz (nach der Körperlänge unterschieden), zwei Lehrer der Städtischen Unterschule.

15. Von der Schützencompagnie der Schüler der Höheren Bürgerschule. Es wurden allsommerlich Exerzierübungen getrieben und zum Schlusse ein Armbrustschießen nach der Scheibe abgehalten.

16. Bezieht sich auf den drastischen Ausspruch der Mutter, daß sich der höhere Sinn für Reinlichkeit erst nach vollendetem Wachsthume einstelle.

17. Vgl. Geifert: Der Bauer und sein Sohn. Die „Schneidmühlenbrück" lag bei der damals Pape'schen Mühle an der Ucker

18. Zur Zeit des Krimkrieges im Garten hergestellte Erdbefestigungen, die im Kriegsspiel erstürmt werden mussten.

19. Es ist die Aufdeckung von Burgwällen, Hünengräbern und dergleichen geschichtlichen Resten gemeint.

20. Hinweis auf den Lindwurmtödter St. Georg.

21. Selbsterzählte Thatsache.

22. Kleine landwirthschaftliche Pachtung in farbiger Heidegegend bei Stepenitz am Stettiner Haff, die in ihrer Weltabgeschiedenheit in Verbindung mit den kleinen zu leistenden Wirthschaftsdiensten den Kindern idyllisch, gleichsam wie ein Paradies vorkam.

23. Gelehrt sein sollende Ausdrucksweise des sehr ergötzlichen alten Lehrers für aufpassen, achtgeben.

24. Niederdeutsch für: aus Kraftlosigkeit sterben.

25. Spitzname, wie deren die Geschwister unter einander sich oft mehrere gegeben haben.

26. Hat sogar noch den Krieg von 1870/71 als Landwehrmann mit  gemacht.

27. Thatsache

28. Bedeutet große Schüssel, Terrine, überhaupt den größten der auf den Tisch kommenden Speisebehälter.

29. Eigene Worte.

30. Name eines sehr geduldigen, u.a. zum Ziehen eines Kinderwagens benutzten Haushundes.

31. Hochdeutsch: Sophie Butz. Eine Verwandte von mütterlicher Seite, die in zärtlicher Liebe für die Mutter und in treuer Hingebung an die ganze Familie Gustav Lemke eine bereitwillige und aufopfernde Helferin bei Familienereignissen war, obwohl sie sich eines ihrer Bewegungsfähigkeit sehr hinderlichen Stelzfußes bedienen mußte. Von sehr ehrenwerthem Character, von aufrichtiger Frömmigkeit und Ergebung in ein hartes Lebensloos, war sie dabei nicht ohne Humor und romantischen Anflug (sie liebte und verstand u.a. Schiller's „Jungfrau von Orleans"). Nach ihrem Tode wurde sie sehr vermißt und die nächst der Mutter von ihr am meisten geliebte älteste Tochter möchte dem edlen, schwergeprüften Wesen mit der vorstehenden Characteristik in dankbarer Erinnerung ein Denkmal setzen.

32. So geschrieben, wie es vom Volke allgemein gesprochen wurde.


 

35 Seiten, Druck bei J. B. Hirschfeld in Leipzig
Schifttype im Original: Fraktura
original bei Jost Schaper, Bad Pyrmont