Hans Klocke: Der Fall ins Bodenlose

 

 

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Hans Klocke:

Und Herren von Tilitti.

 

Der Fall in's
Bodenlose

 

Möntgeweg 1

 

 

 

 

Der Fall ins Bodenlose

 
 

Aus der Lippischen Landeszeitung, 2004, nach einem Bericht von Hans Klocke

 
 

 

Extertal-Linderhofe. Es war ein Sturz ins Ungewisse: Als der Schmied Wilhelm Schäfer sich während eines lockeren Abends in geselliger Runde dazu bereit erklärte, die gerissene Kette des Brunnens der Burg Sternberg zu reparieren und den verlorenen Wassereimer zu bergen, ahnte er nicht, dass er nur durch großes Glück mit seinem Leben davon kommen sollte. Während der Reparatur stürzte Wilhelm Schäfer gut 50 Meter hinab in die dunkle Tiefe des Brunnens - und überlebte nur schwer verletzt.

Wilhelm Schäferwar der mutige Mann, der vor gut 60 Jahren bei der Abseilaktion in den Sternberger Brunnen verunglückte.

Es war 1933, und die Wasserversorgung der Burg Sternberg lief noch einzig über den Brunnen. Als die Eisenkette, an der ein schwerer hölzerner Wassereimer befestigt war, riss und auf den Grund des Brunnens fiel, brauchte es einen mutigen Menschen. Einen, der sich freiwillig in den Schacht des Brunnens begeben und die entzweite Kette samt Eimer wieder ans Tageslicht befördern würde.
Wilhelm Schäfer, der als Schmied in Farmbeck tätig war und bereits am Bau des Schiffes "Imperator" mitgearbeitet hatte, war dieser mutige Mann.
"Ein tollkühner Seemann, wie es immer mal wieder dargestellt wurde, war mein Onkel allerdings keinesfalls", betont Hans Klocke, der Neffe von Wilhelm Schäfer. Doch eine große Portion Mut gehörte sicherlich dazu, in einen Eimer zu klettern und sich, einzig durch ein Schiffstau gesichert, in die schwarze Ungewissheit hinabseilen zu lassen: Nie zuvor war jemand so weit in den Schacht des Brunnens herabgestiegen. Zunächst schien das Unterfangen jedoch problemlos zu verlaufen: Wilhelm Schäfer wurde bis zur Wasseroberfläche hinuntergelassen
und befestigte dort den verloren gegangenen Wassereimer an einem Haken des Eimers, in dem er selbst sich befand. Bedächtig zogen ihn seine Kollegen am Rande des Brunnens langsam wieder hinauf in Richtung Helligkeit.

"Gerade in dem Moment, als der Kopf meines Onkels schon über den Brunnenrand ragte, kam es jedoch zum Desaster: Das Tau hielt dem zusätzlichen Gewicht des zweiten Wassereimers nicht mehr Stand - und riss", erzählt Klocke.
Der Sturz kann nur wenige Sekunden gedauert haben, aber wie lang mag Schäfer diesen freien Fall empfunden haben? Er stürzte ungebremst hinab. Wie durch ein Wunder kam der Schmied jedoch in dem Eimer auf der Wasseroberfläche auf und brüllte: "Stange runter!" Für den "Fall der Fälle" hatten Schäfer und seine Helfer eine zehn Meter lange Fahnenstange bereitgelegt. "Sie haben die Stange zu ihm herunter geschmissen. Hätte sie meinen Onkel getroffen, wäre er sofort tot gewesen." Doch wieder hatte der mutige Schmied Glück im Unglück: Er bekam die Stange zu fassen und konnte sich mit deren Hilfe bis zu einer Einbuchtung im Inneren des Brunnens hangeln.

Hans Klocke, der nach dem Unfall seines Onkels auf der Burg Sternberg viel Zeit an dessen Krankenbett verbracht hat, erinnert sich noch genau an die Erzählungen seines Onkels zu den Geschehnissen: "Sie haben anschließend ein neues Tau zu ihm herunter gelassen. Das hat er sich um seinen Bauch geschnürt und er hatte große Schmerzen, als sie ihn ein zweites Mal hoch gezogen", beschreibt der heute 77-Jährige die Rettungsaktion.
Heute hätte sofort ein Rettungswagen bereitgestanden, um den Verletzten zu versorgen. Wilhelm Schäfer wurde jedoch auf einer Schubkarre nach Hause gebracht, ein Arzt musste erst von Bösingfeld nach Linderhofe herbeigeholt werden.

Viele Wochen musste Schäfer anschließend regungslos in seinem Bett verbringen.
Wochen, in denen die Beziehung zwischen dem damals sechsjährigen Hans Klocke und Wilhelm Schäfer immer enger wurde. "Er war für mich wie ein Vater", sagt der leidenschaftliche Regionalhistoriker aus Linderhofe. Sicherlich war diese Verbundenheit zu seinem Onkel auch ein Grund für Hans Klockes großes Interesse an der Burg Sternberg und deren abwechslungsreicher Historie. Nicht nur der Geschichte seines Onkels ist er seit dessen Sturz ganz genau auf den Grund gegangen.