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Extertal-Linderhofe. Es war ein Sturz ins Ungewisse: Als der Schmied Wilhelm
Schäfer sich während eines lockeren Abends in geselliger Runde dazu bereit
erklärte, die gerissene Kette des Brunnens der Burg Sternberg zu reparieren und
den verlorenen Wassereimer zu bergen, ahnte er nicht, dass er nur durch großes
Glück mit seinem Leben davon kommen sollte. Während der Reparatur stürzte
Wilhelm Schäfer gut 50 Meter hinab in die dunkle Tiefe des Brunnens - und überlebte nur schwer verletzt.
Wilhelm Schäferwar der mutige Mann, der vor gut 60 Jahren bei der Abseilaktion
in den Sternberger Brunnen verunglückte.
Es war 1933, und die Wasserversorgung der Burg Sternberg lief noch einzig über
den Brunnen. Als die Eisenkette, an der ein schwerer hölzerner Wassereimer
befestigt war, riss und auf den Grund des Brunnens fiel, brauchte es einen
mutigen Menschen. Einen, der sich freiwillig in den Schacht des Brunnens begeben
und die entzweite Kette samt Eimer wieder ans Tageslicht befördern würde.
Wilhelm Schäfer, der als Schmied in Farmbeck tätig war und bereits am Bau des
Schiffes "Imperator" mitgearbeitet hatte, war dieser mutige Mann.
"Ein tollkühner Seemann, wie es immer mal wieder dargestellt wurde, war mein
Onkel allerdings keinesfalls", betont Hans Klocke, der Neffe von Wilhelm
Schäfer. Doch eine große Portion Mut gehörte sicherlich dazu, in einen Eimer zu
klettern und sich, einzig durch ein Schiffstau gesichert, in die schwarze
Ungewissheit hinabseilen zu lassen: Nie zuvor war jemand so weit in den Schacht
des Brunnens herabgestiegen. Zunächst schien das Unterfangen jedoch problemlos
zu verlaufen: Wilhelm Schäfer wurde bis zur Wasseroberfläche hinuntergelassen
und befestigte dort den verloren gegangenen Wassereimer an einem Haken des
Eimers, in dem er selbst sich befand. Bedächtig zogen ihn seine Kollegen am
Rande des Brunnens langsam wieder hinauf in Richtung Helligkeit.
"Gerade in dem Moment, als der Kopf meines Onkels schon über den Brunnenrand
ragte, kam es jedoch zum Desaster: Das Tau hielt dem zusätzlichen Gewicht des
zweiten Wassereimers nicht mehr Stand - und riss", erzählt Klocke.
Der Sturz kann nur wenige Sekunden gedauert haben, aber wie lang mag Schäfer
diesen freien Fall empfunden haben? Er stürzte ungebremst hinab. Wie durch ein
Wunder kam der Schmied jedoch in dem Eimer auf der Wasseroberfläche auf und
brüllte: "Stange runter!" Für den "Fall der Fälle" hatten Schäfer und seine
Helfer eine zehn Meter lange Fahnenstange bereitgelegt. "Sie haben die Stange zu
ihm herunter geschmissen. Hätte sie meinen Onkel getroffen, wäre er sofort tot
gewesen." Doch wieder hatte der mutige Schmied Glück im Unglück: Er bekam die
Stange zu fassen und konnte sich mit deren Hilfe bis zu einer Einbuchtung im
Inneren des Brunnens hangeln.
Hans Klocke, der nach dem Unfall seines Onkels auf der Burg Sternberg viel Zeit
an dessen Krankenbett verbracht hat, erinnert sich noch genau an die Erzählungen
seines Onkels zu den Geschehnissen: "Sie haben anschließend ein neues Tau zu ihm
herunter gelassen. Das hat er sich um seinen Bauch geschnürt und er hatte große
Schmerzen, als sie ihn ein zweites Mal hoch gezogen", beschreibt der heute
77-Jährige die Rettungsaktion.
Heute hätte sofort ein Rettungswagen bereitgestanden, um den Verletzten zu
versorgen. Wilhelm Schäfer wurde jedoch auf einer Schubkarre nach Hause
gebracht, ein Arzt musste erst von Bösingfeld nach Linderhofe herbeigeholt
werden.
Viele Wochen musste Schäfer anschließend regungslos in seinem Bett verbringen.
Wochen, in denen die Beziehung zwischen dem damals sechsjährigen Hans Klocke und
Wilhelm Schäfer immer enger wurde. "Er war für mich wie ein Vater", sagt der
leidenschaftliche Regionalhistoriker aus Linderhofe. Sicherlich war diese
Verbundenheit zu seinem Onkel auch ein Grund für Hans Klockes großes Interesse
an der Burg Sternberg und deren abwechslungsreicher Historie. Nicht nur der
Geschichte seines Onkels ist er seit dessen Sturz ganz genau auf den Grund
gegangen.
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