Hans Klocke: Möntgeweg 1

 

 

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Hans Klocke:

Und Herren von Tilitti.

Der Fall in's
Bodenlose

 

Möntgeweg 1

 

 

Möntgeweg 1

 
 

Die Geschichte eines Hauses

 
 

 

Es mag wohl irgendwann im Jahre 1923 gewesen sein, als Lina und Simon beschlossen haben irgendwo ein Haus zu bauen.
Alle möglichen Überlegungen sind von den Beiden gemacht worden.
Alle Dörfer der Umgebung wurden in Betracht gezogen.
Hauptsächlich hatte man Bösingfeld ins Auge gefasst.
Doch eines Tages überraschte Simon seine Frau damit:
„Wir wollen auf der Linderhofe bleiben, wir wollen im Kuhkamp bauen. “
Der Kuhkamp war ein Gebiet, auf denen die Kühe und Ziegen der sogenann kleinen Leute von einem gemeinsam gedingten Hirten im Sommer gehütet wurden. Jetzt taucht die Frage auf, wer waren die sogenannte kleinen Leute?
Das Dorf, von dem ich berichten will, war ein Schuldorf in der Nähe der Burg Sternberg gelegen.
Es war geprägt von mittleren und kleinen landwirtschaftlichen Betrieben und eben von den kleinen Leuten.
Folgende Geschichte mag das Leben im Dorf veranschaulichen.


Eine kleine Erinnerung an Linderhofe um 1935.


H E I M W E H!

OH GRÜNE AU, DU KLEINES STILLES TAL,
AM BERGESHANG VERTRÄUMT ICH MEINE ZEIT.
DU GRÜNER WALD, IHR BLUMEN OHNE ZAHL;
VERGANG`NER TRAUM VOLL GLÜCKSELIGKEIT!
DIE WEITE WELT, MIT IHREM FALSCHEN SCHEIN;
SIE LOCKT UND GLÄNZT,
SIE ZOG MICH FORT VON HIER.
WIE BALD VERLOSCH DER GLANZ,
ICH WAR ALLEIN.
OH, HEIMATTAL,
WIE GERN WER ICH BEI DIR!
EINST KEHR ICH HEIM IN DEINE STILLE WELT.
DU TRAUM VOLL GLUCK
UND VOLL GEBORGENHEIT.
DU GRÜNER WALD MEIN HEIMATSTERNENZELT:
"WANN KOMMT DIE ZEIT, JA WANN KOMMT DIE ZEIT?


Linderhofe war eine kleine Welt!
Besser gesagt: "Es ist noch immer klein! "
Die kleine Welt unserer Kinder- und Jugendtage gibt es aber nicht mehr. Sie ist dem heute sogenannten Zeitgeist gewichen.
Aber ich will versuchen, diese kleine Welt unserer Kindheit und Jugendzeit nachzuerzählen.
Wenn ich das Wort Zählen eben gebraucht habe, will ich gleich einmal aufzählen, was so unser Dorf um 1935 herum ausmachte.
Wir hatten eine vollgültige Volksschule mit zwei Lehrern. Ich glaube, die bekanntesten Gestalten der Lehrerschaft unserer Schule war einmal Lehrer Hermsmeier als Hauptlehrer und Fräulein Grüttemeier als Lehrerin der Unterstufe. Später kamen noch viele andere Lehrer hinzu. Fräulein Niedermeier, Herr Kükenhöhner, Herr Heuer, Herr Stock, Herr Brand. Wenn ich welche vergessen habe, möge man mir verzeihen.
Es ist alles sehr lange her.


Nach dem Krieg gab es noch Herrn Rohde, Frau Kuhlmann, Frau Handlanger, Herr Gries, Herr Blome.
Mit Herrn Albrecht schliesst sich dann eine 300jährige Schulgeschichte. Die erste nachweisliche Schule gab es hier um 1670 herum. Der erste Schulmeister war derzeit der Schulmeister Petig. Ja, das war die Schule.
Alle die wir hier sitzen, sind in die sogenannte neue Schule gegangen. Das heutige Haus Bartsch.
Die alte Schule war das heutige Haus Thermann an der Sternberger Strasse. Die erste Schule stand auf dem Grundstück Richard, auch als Hotel zur Burg Sternberg bekannt. Bevor ich nun vom eigentlichen Leben im Dorf, welches eng mit dem Schulleben verknüpft war, erzähle, möchte ich die anderen Dinge aufführen, die ein Dorfleben ausmachten.

Es gab bei uns im Dorf zwei Schustereien, Kuhfuss und Thermann, desweiteren waren zwei Kramläden vorhanden, Vehmeier und Höcker. Zimmer- und Tischlereien gab es gleich drei.
Brakemeier, Klocke und Bevermeier.
Schneiderei Brunemeier und Hausschneiderrin Line Brakemeier sorgten dafür, dass keiner nackt herumlaufen musste.

Gaststätten gab es drei.

Die Burggaststätte Karl Krüger, die Gaststätte Vehmeier und die Gaststätte Richard Höcker.

Vergessen sollten wir nicht den Fischermeister Heberlein, der als Forellenzüchter und Pächter der Fischgewässer an der Bega den Lebensunterhalt für sich und seine Familie verdiente.

Wir sehen also, dass ein vollkommen autarkes, selbständiges Dorf vorhanden war.
In Linderhofe gab es einen Männergesangverein, einen Kriegerverein, eine Feuerwehr und einen Zieglerverein.
Ein Ziegenzuchtverein gesellte sich später noch hinzu.

Man sagte eigentlich: "Uppa Linnaheowe! " Auf der Linderhofe.

Fangen wir beim Erzählen mit der damaligen Oberschicht an. Das waren die Landwirte, welche Pferd und Wagen ihr Eigen nannten. Es gab grössere und kleinere Höfe, aber man war Bauer auf eigener Scholle. Der Inbegriff des freien Menschen.
Die zweite soziale Schicht waren die Kuhbauern mit ihrem Landbesitz. Die etwas grösser geratenen Kuhbauerstätten hatten immerhin das Privileg, zur Oberschicht zu gehören. Man lächelte zwar über ihr Bemühen nach oben, aber immerhin.
Jetzt kommt die damalige Kategorie der kleinen Leute. Sie waren meistens Besitzer von ein oder zwei, mitunter auch drei Ziegen.

Wenn der Landbesitz durch kluges Heiraten oder Erben dann etwas grösser wurde oder irgendwann geworden war, schaffte man sich eine Kuh an, man gehörte dann zur Bauernschaft.
Das Leben der kleinen Leute war meistens mit der Wanderarbeit des Vaters als Ziegler verbunden. Er zog im zeitigen Frühjahr los auf seine angestammte Ziegelei die entweder im Norden oder im Westen Deutschlands gelegen war. Etliche Ziegler zogen sogar bis nach Russland zur Krim z. B. Einige brachten es zum Ziegelmeister oder zumindest zum Brenner. Das Leben auf der Ziegelei war sehr hart. Ein 12 bis 14 Stundentag war die gewöhnliche Arbeitszeit. Aber davon könnte man eine ganze Geschichte für sich schreiben. Der Ziegler nahm im Frühjahr seine Lebensmittel in Form von getrockneten Erbsen und Mehl mit. Speck, Schinken und Mettwurst vom im Winter geschlachteten Schwein gehörten ebenfalls in den grossen Zieglerkoffer. Letzterer war aus Blech gefertigt.
Die Lebensmittel wurden auf der Ziegelei in der sogenannten Komunje eingebracht. Eine Kökske, (Köchin) sorgte dann für die tägliche Erbsensuppe.

Aber nun zurück zum Leben im Dorf.
Der Sommer war bestimmt durch die harte Feldarbeit, die auf den ein oder zwei Scheffelsaat grossen Eigentum und den noch meistens hinzugepachteten 3 bis 5 Scheffesaat meistens von Hand gemacht werden musste.

Versuchen wir doch einfach einmal den Jahresablauf zurückzuholen.

Fangen wir mit dem Frühling an. Da ausser der Ziegelei, den Bauernhöfen und den selbständigen Handwerkern und Kaufleuten noch eine intensive Forstwirtschaft betrieben wurde, sollten wir mit der Holzauktion im Februar beginnen

Wenn die Waldarbeiter, meistens Ziegler, kleinere Landwirte und evtl. Maurer, jedenfalls alle diejenigen welche im Winter arbeitslos waren, wenn diese also mit der eigentlichen Forstarbeit fertig waren, war das Holz in Nutzholz und Brennholz geteilt. Letzteres war zu 1 m langen Kloben geschnitten, und in jeweils einen oder mehrere Rauhmeter aufgestapelt.
Die Äste der Bäume wurden zu Haufen auch jeweils von einen Rauhmeter Inhalt aufgestapelt.
Zu erwähnen sind auf jeden Fall die Haumeister, welche fest in der Forst beschäftigt waren. Der Name "Meister" besagt schon, dass diese Leute den ganzen Holznutzungsvorgang unter Leitung des Revierförsters mit Hilfe der oben genannten Zeitarbeitskräfte bewerkstelligten.
Wir müssen das so verstehen, dass zu der damaligen Zeit der Hauptbrennstoff im Ofen aus Brennholz bestand.

Holzdiebstähle waren an der Tagesordnung. (Kohlen waren sehr teuer. )
Aber nun weiter zum Holzverkauf. Bevor die Holzauktion begann, gingen die Männer der Familien in den Wald, um zu sehen, wo das Holz am günstigsten zum Abfahren stand. Es war keinswegs an die Wege gerückt, sondern stand irgendwo in der Forst verteilt.
Der Holzkäufer musste also das Rücken nach der Ersteigerung selbst vornehmen.
Die Holzauktion fand in der Gastwirtschaft Vehmeier statt. Der Oberförster von Brake leitete meistens diese Veranstaltung. Das Holz wurde den anwesenden Käufern zum Mindestgebotspreis angeboten. Die Versteigerung brachte dann je nach Standsort einen höheren oder niederigen Erlös.
Wenn das Holz ersteigert war, musste sich um das nötige Fuhrwerk bemüht werden. Auch die erforderlichen Kräfte zum Tragen und Aufladen mussten da sein. Die Arbeitskraft der Familien war also gefordert.
Mit besonderer Vorsicht mussten die Brakenhaufen geladen werden, damit niemand zu Schaden kam.

Wenn das Holz endlich vor den Türen lag, ging das "Holz kaputt machen" los. Die dicken Kloben wurden gespalten und in ganzer Länge zum Trocknen aufstapelt.
Mancher Schlag mit der Axt (Äxen) war nötig. Zum Spalten wurden auch Eisenkeile und Holtschlage, ein Holzhammer am langen Stiel benutzt.
Die Brakenhaufen wurden in dickes Holz und in Spricker geteilt. Wer nicht weiss, was Spricker sind, sollte es sich von einem alten Lipper erklären lassen. Das dicke Holz wurde auf Ofenlänge abgeschnitten , und später mit Axt und Beil, letztere auch Barte genannt, ofenfertig gespalten.
Wichtig bei der ganzen Holzarbeit waren dann die Holzfinnen.
Dies war das zum Trocknen gestapelte Holz.
Das Holz musste bis Karsamstag-Abend in Finnen stehen. Wer das nicht schaffte, war im Dorf irgendwie unten durch. Auch wurden die Finnen auf Standfestigkeit geprüft. Man setzte sich der Lächerlichkeit aus, wenn eine Holzfinne beim Trocknungsvorgang umkippte.
Heute fragt man: "Was kostet das Öl, haste schon getankt? "

In der Folgezeit wurde das Feld und der Garten bestellt.
Die Ziegler waren wieder in der Fremde, das Leben im Dorf ging seinen Gang. Die Ziegen hatten gelammert.
Ziegenherm aus Dörentrup hatte die überzähligen Ziegenlämmer abgeholt. Die Wiesen mussten gemäht werden.
Alles mit der Sense! Die Heuernte war da. Heuwenden mit der Harke, das Heu in Haufen setzen und der ewige Wettlauf mit dem Wetter.
Die Landwirte holten ihr Heu mit Pferd oder Kuh und Wagen nach Haus. Die kleinen Leute nahmen die Bockkarre oder die Laken voll Heu wurden auf dem Kopf nach Hause getragen. Wie manches Laken voll ist z. B. am Berg bei Brunemeiers auf dem Kopf heraufgetragen worden. Mit zu dick werden hatten die Frauen der kleinen Leute keine Sorgen.

Zwischenzeitlich gingen die Frauen und die grösseren Kinder noch auf Tagelohn zu den umliegenden Höfen zum Rüben (Runkeln) verziehen. Zu meiner Zeit als Kind betrug der Lohn glaube ich 50 Pfennige und ein Butterbrot pro Nachmittag. Viele Tagelöhne waren auch nötig, um die Fuhrwerksarbeit beim Holzfahren und beim Ackern des kleinen eigenen Stückchen Landes zu bezahlen.

Die Zeit verging, und die Kornernte war da. Von wegen Mähdrescher und so. Jeder Halm musste mit der Sense gemäht werden. Auf den Höfen kamen die Grasmähmaschienen und später die Mähbinder auf.
Das von Hand und mit dem Grasmäher gemähte Korn musste zu Garben abgenommen werden.

Diese Garben wurden dann mit einem Strohseil gebunden. Das Binden war eine Kunst für sich. So weit ich mich erinnern kann, war das "Über den Daumen Binden" das "Non Plus Ultra" für diese Arbeit. Dann kam das Aufschocken, oder auch Aufrichten genannt. Es wurde doppelt gerichtet, oder einfach, je nach Getreideart. Wenn es der Sommer gut meinte, trocknete das Korn nun in dieser Hocke.
Bei nassen Sommern wuchs das Getreide aus, es musste umgeschockt werden. Ganz egal, ob trocken oder nass, nach einiger Zeit wurde eingefahren. Diese Arbeit spielte sich wie bei der Heuernte ab. Entweder Wagen mit Pferden oder auch Kühen bespannt, oder Karre, Kopf und Rücken. Das Korn kam in die Scheune oder auf den Dachboden. Dort wurde es in die Bansen gepackt.


Beim Einfahren mit dem Wagen war das Laden des Erntefuhrwerks eine ganz besondere Kunst. Diese wurde durchweg nur von Frauen beherrscht. Beim letzten Fuder wurde der Erntekranz mitgeführt und wenn das Fuder in der Scheune war, wurde er an der Hauswand aufgehängt. Es war "Eingeerntet! "

Die Drescharbeiten konnten beginnen. Früher mit der Dreschflegen auf der Deele, Vielerorts auch Tenne genannt.
Als ich Kind war, kamen dann die Lohndrusch-Unternehemen auf.
Bei uns hier meistens "Brands Fritz". Letzterer hatte auch angefangen mit einer Kreissäge das Holz im Winter zu zersägen. Die Technik kam auch zu uns ins Dorf.
Was war das doch für ein Aufwand, wenn die Dreschmaschine kam. Zunächst, bevor ein "Lamzbuldog" bei Brand diese Zugarbeit mit übernahm, musste wieder der bekannte Fuhrmann (Fewwermann) her.
Die Leute aus der Nachbarschaft teilten sich die Arbeit beim Dreschen auf Wiederhilfe ein. Lohn in Form von Geld bekam nur der Dreschmaschinenkerl. Letzteres ein gebräuchlicher Ausdruck für den Dreschunternehmer.
Eine feine Sitte beim Dreschen war das "Gute Essen! "
Für diesen Tag wurde ganz besonders gekocht.
Beim Dreschen musste das Korn auf die Dreschmaschine.

Die meisten Häuser waren damals mit einer Deele ausgestattet, auf welcher die Maschine Aufstellung fand, so dass das Korn vom Dachboden durch die Luke auf die Maschine geworfen werden konnte. Hier nahm es jemand zur Hand, um das Seil der Garbe zu zerschneiden. Der "Dreschmaschinenkerl" fungierte meistens auch als Einstecker. Das Einstecken war mit einigem Können verbunden, damit das Getreide sich nicht um die Dreschtrommel wickelte, besonders wenn es feucht aus der Bansen kam.

Feuchtes Korn war immer sehr muffig. Hier bei uns sprach man allerdings von "Muster". Wenn jemand nach den Drescharbeiten viel hustete, hatte er "Dat Muster" kriegen. Etliche Leute wurden für das Stroh grbraucht, für das Binden des Strohes. Später übernahm diese Arbeit eine Maschine.

Das gedroschene Korn lief in Säcke, und wurde auf den Kornboden getragen. Dort musste es später oft umgeschüffelt werden, damit der Trocknungsgrad erreicht wurde. Kein Schimmel durfte sich ansetzen.
Je verdorbener das Korn durch einen nassen Sommer war, um so schlechter konnte es der Müller mahlen, auch der Bäcker konnte kein gutes Brot daraus backen.
Ein schlechter Sommer war auch in Bezug auf Brot ein schlechter Winter. "Arm und Reich" hatten dasselbe Problem. Die Ernte hat bei manchen Familien oft nicht gereicht, um alle satt zu machen.
Jetzt soll es mit der Kornernte genug sein.

Die Kartoffeln wurden langsam reif.
Kartoffelernte. Bei den Landwirten mit Kartoffelpflug oder später mit dem Roder. Die Kartoffeln mussten in jedem Falle von Hand aufgesucht werden.
Bei den kleinen Leuten war wieder die Handarbeit gefordert. Die Kartoffeln wurden mit der Grepe ausgeworfen. Wir Kinder waren überall gefragte Arbeitskräfte zum Kartoffeln aufsuchen. Die Ferien in den Schulen waren ja auch so gelegt, dass wir immer zur Hand waren, wenn wir gebraucht wurden.
Grosse Ferien heute, Ernteferien damals. Herbstferien heute, Kartoffelferien damals. Die Ferien wurden auch so genannt. Oster- und Weihnachtsferien hatten wir allerdings.
Wenn die Kartoffelernte innerhalb der Ferien nicht geschafft war, gingen wir Nachmittags los zum Kartoffeln aufsuchen. Schularbeiten fanden später statt.
Bei der Kartoffelernte machten die Feuer die von dem Kartoffelstroh angezündet wurden, am meisten Spaß. In der Glut geröstete Kartoffeln galten als Delikatesse.
An den aufsteigenden Kartoffelfeuerrauch erkannte man auch, wer mit seinem Acker fertig war. Auch beim "Kartoffeln Aufsuchen" waren die 50 Pfennige plus Butterbrot der Tagesverdienst.

Wenn die Kartoffen vom Feld waren, kam die Zeit des Ziegenhütens.
Wir Kinder verbrachten unsere Nachmittage mit den Ziegen auf Schlüters Rott zum Bespiel. Ach welch eine Freude war das doch. Die Ziegen wurden angepöhlt.
Mit einer Kette am Halsband wurden die Tiere mit einem Eisepfahl festgemacht, letzterer wurde mit der schon bekannten Holtschlage in die Erde getrieben.
Überall leuchteten die weissen Ziegen. Ihr Geblärre und das Geschrei von Fuhrleuten die ihre Gespanne antrieben und das Rufen von uns Kindern waren so die einzigen Laute die unsere Stille im Dorf unterbrachen.
Mitunter war das Geschrei von Bussharden und Raben die einzigen fassbaren Laute in der Luft über dem Tal.

Wenn wir den Zug der Reichsbahn bei Farmbeck und das Schiessen Vom Truppenübungsplatz in der Senne hörten, wussten wir, dass das Wetter umschlagen würde.
Es gab Regen.
Auch schon vor der Kartoffelernte wurden die Ziegen gehütet.
Im Oktober ging dann das Laufen los, um die Ziegen zum Bocke zu führen.
Kleinere Kinder, so bis 10 Jahren durften wegen der Sitte und Moral nicht dabei sein. So streng waren damls die Bräuche. Von wegen: "Sexaufklärung im Schuluntericht und so. "
Trotz dieses mangelden Unterrichts wussten wir, als wir grösser wurden, auch um diese Dinge Bescheid. Die Welt ist jedenfalls nicht ausgestorben, als die Aufklärung etwas später begann.

Der Oktober brachte dann noch die Obsternte.

Die Ernte, der an den Strassen angepflanzten Obstbäume, wurde versteigert. Der Vorgang war dem der Holzauktionähnlich. Für uns Linderhofer waren die Bäume, die an der Strasse nach Farmbeck standen, von Interresse.
Wenn Vater oder Mutter einen oder mehrere Bäume ersteigert hatten, ging es mit dem Handwagen los zum "Äpfel Pflücken".

Gleichzeitig im Oktober/November ging auch die Runkelernte (Rüben) los.
Die Strasse nach Farmbeck war für unser Dorf immer Hauptschlagader. Bevor Bösingfeld mit der Extertabahn verbunden war, war der Bahnhof in Farmbeck auch die einzige Verbindung in die Ferne. Das galt für Ziegler sowohl als für anders Reisende. Fast alle die wir in Linderhofe waren, wissen heute noch, wie lang der Weg von Farmbeck im langen Felde hoch, an Ölentrup mit der dicken Linde vorbei durch die Dienstwege in den Eichen über Sternberg nach Linderhofe war.

Wir wollen jetzt aber unsern Jahresablauf zum Ende bringen.
Gehen wir da wieder hin, wo wir am Anfang der Geschichte waren: "Gehen wir wieder in die Schule".
Die Schuljahre begannen damals zu Ostern. Unsere Schule hatte 8 Jahrgänge in zwei Schulklassen.
Die sogenannte Unterklasse waren die ersten vier Schuljahre, also 1 bis 4.
Die Oberklasse umfasste die Schuljahre 5 bis 8.
Bei der Unterklasse war es allerdings so, dass die Erstklässler zu Ostern eine gewisse Zeit, bis zu den grossen Ferien, am Nachmittag unterichtet wurden. Der Störeffekt wäre doch zu gross gewesen. Dann aber gelang es dem jeweiligen einen Lehrer je Klasse immer alle vier Jahrgänge zu unterichten. Man nahm also vier Jahre lang an dem Unterricht auch der älteren Jahrgänge teil. Wie die Versetzungskriterien damals gehandhabt wurden, weiss ich heute auch nicht mehr.
Soviel weiss ich aber immer noch: "Wir konnten mit unserem Wissen uns durchaus mit dem Wissensstand grösserer Schulen messen. Etliche von uns haben ja im Nachhinein auch weiterführende Schulen mit einigem Erfolg besucht.


Eines der wichtigsten Ereignisse im Dorf war die Schulweihnachtsfeier. Diese ist auch bis zum Ende der Zweiklassigen Schule bis weit nach dem Krieg (1939 bis 1949) durchgeführt worden.

Die Weihnachtfeier war im Dorfleben nicht wegzudenken.
Erwachsene und Schüler fiberten diesem Ereignis vom Herbst her entgegen. Der Schulunterricht wurde darauf eingestellt. Gedichte mussten gelernt werden. Der Schulchor, denen alle Schüler, bis auf die "Brummer" angehörten, übte unentwegt Weihnachtslieder. Selbst Sologesänge wurden eingeübt. Der Höhepunkt war dann das Theaterstück. Dieses wurde mit grosser Liebe von der Theatergruppe eingeübt. Irgendwie lief es dann bei der Weihnachtsfeier wie am Schnürchen. Als ich noch in der Unterklasse war, kamen die Blockflöten. Ei, kucke mal hin: "Zur Wehnachtsfeier desselben Jahres spielte eine Flötengruppe zweistimmig vom Himmel hoch.“

Nicht zu vergessen wären auch die Handarbeits- und Werkunterrichtaustellungen, die jeden Herbst einen Sonntag lang das Dorf beshäftigten.
Der Weihnachtsmarkt in Bösingfeld sollte auch nicht vergessen werden. für einmal Karussel und einer Rolle Lebkuchen reichten meisten die 50 Pfennige Marktgeld welches die Eltern evtl. bewilligten. Mitunter waren es auch nur 20 Pfennige. Wir waren eben alle arme Bergbewohner.


Eine wirkliche Atraktion war der jährliche Ausflug der Schule.

Mit geschmückten Leiterwagen ging es morgens zum Farmbecker Bahnhof. Von hier aus fuhren wir dann zur Weser, oder wohin? Natürlich zum Hermannsdenkmal und den Externsteinen. Abends warteten die Leiterwagen wieder auf uns, um mit der müden, aber vergnügten Schar zurück nach Linderhofe zu fahren.

Nach Weihnachten lag meistens Schnee. Was haben wir doch eine fantastische Rodelbahn gehabt. Wehrmanns Berg hinunter, dann bei Vehmeier um die Ecke, Richtung Bösingfeld, und dann bei Deppings in die Talwiese des Sellenbachs weit hinunter. Alle hatten ja keinen Schlitten, aber ein Brett auf eine Leiter genagelt, oder eine alte umgedrehte Garten oder Fussbank ging zwar nicht so gut, aber man rutscte auch den Berg hinunter. Die Strasse war ganz schön glatt, aber das war nicht so schlimm, denn Autos kamen vielleicht jeden Monat nur eins vorbei, und die Pferde der Bauern hatte scharfe Eisen bekommen, damit sie die Schlitten mit Holz oder mit Korn ziehen konnten ohne zu rutschen.

In der Winterzeit fanden auch, wie es ja auch noch heute in intakten Orten der Fall ist, die Vereinsfeste statt. Die Feuerwehr hatte ihren Ball, der Kriegerverein desgleichen. Höhepunkt der Ballsaison war allerdings auf Linderhofe der Tigglerball, (Zieglerball). Mit welcher Freude und Intensität wurde dann getanzt und gefeiert. Tanz war übrigens zu meiner Kindheit jeden Sonntag auf Linderhofe. Der Saal bei Vehmeier war immer voll.

Auch nach dem Krieg ist hier jeden Sonntag Tanz gewesen.
Wir waren ja alle einmal jung.

Ein Ereignis erster Güte war dann noch die Konfirmation der Schulabgänger. Der Schneidermeister Brunemeier hatte alle Hände voll zu tun, um die Anzüge für die Jungen fertig zu machen. Ach du liebe Zeit. Zuerst musste man zum Massnehmen. Es war schon aufregend, wenn einem die erste lange Hose angemessen wurde.
"Wo der Schneider dann alles hinfasste! " Vor der Konfirmation gab es normal nur kurze Hosen und im Winter lange Strümfpe mit Leibchen und Strupfbändern.
Ja, und dann bekamen wir Knaben auch unsern ersten Hut. Wir waren damals sehr schick, so meinten wir jedenfalls. Trotzdem nannte man uns weiterhin: "Grüne Jungens! "


Bei den Mädchen hastete Line-Tante, die Schneidermeisterin Brakemeier von Haus zu Haus. Die Mädchen bekamen zwei Kleider. Eins für die Prüfung, und eins für die Konfirmation. Die waren dann auch etwas länger, damit der Sitte und Ordnung genüge getan wurde.

Gleich nach der Konfirmation ging die Arbeit im Erwachsenenleben los. Die Mädchen gingen oft in Stellung, so nannte man das, wenn ein Mädchen als dienstbarer Geist auf einen Bauernhof kam, oder wer Glück hatte kam zum Kaufmann, Lehrer oder Pastor.
Eine Lehre für Mädchen gab es früher nicht unbedingt. Erst die Jahrgänge die im zweiten Krieg aus der Schule kamen, machten da schon einmal eine Ausnahme.
Bei den Jungen ging man in die Lehre, wenn man Glück hatte, eine Lehrstelle zu finden. Einige gingen zu weite führenden Schulen, und viele gingen mit Vater zur Ziegelei.


Als früher noch die grossen kinderreichen Familien da waren, mussten oft schon 10 jährige ihr Elternhaus verlassen, weil der Vater sie nicht ernähren konnte. Sie kamen dann als Hütejungen bei den Bauern unter.
Etliche junge Leute sind dann auch zwischen den zwei Kriegen ausgewandert, weil es keine Arbeit gab.

Eine beliebte Berufskombination war der Ziegler und Hausschlachter.
Auch Maurer und Hausschlachter und die Verbindung zum Waldarbeiter, wie schon am Anfang erwähnt, war sehr beliebt. Erst als 1935 die Rüstungsindustrie in Form von Uniformfabriken und Spind und Munitionskistenherstellung Fuss fasste, war eine bessere Arbeitsmaktlage, wie es heute genannt wird, vorhanden. Was daraus wurde, wissen wir alle.

Der Krieg hat in fast allen Familien tiefe Narben hinterlassen. Wir wissen alle noch ihre Namen, die in diesem grossen Orlog irgendwo gefallen und verscharrt sind.
Es gäbe sicher noch Vieles über unser Dorf zu schreiben.
Z. B. Als wir unsere Badeabstalt bauten, oder als 1939 zwei Tage vor Kriegsanfang endlich der Strom nach Linderhofe kam.


 

Als Simon seiner Lina mitgeteilt hatte, dass er in Linderhofe im Kuhkamp zu bauen gedenke, ging ein kleiner Freudenschimmer über die von Kummer geprägten Züge der jungen Frau.
Es war liebe gewesen, tiefe echte Liebe, die sie bewegt hatte, als sie ihr Jahwort gegeben hatte. War es doch nicht so einfach einen Witwer mit einem ungesunden Kind zu heiraten.
Ja, Simon hatte seine erste grosse Liebe zu Grabe getragen. Seine erste Frau war an Lungentuberkulose in jungen Jahren gestorben. Mit ihr hatte er seine zweite Tochter in das gleiche Grab gelegt. Ja er hatte sogar durchgesetzt, das beide im gleiche Sarg begraben wurden.
Viel Aufregung hatte es in der Verwandtschaft gegeben, denn seine älteste Tochter Marie konnte mit zwei Jahren immer noch nicht laufen. Ja, sie konnte nur im Heim leben.
Nun hatte Lina, „Marie“, oder besser gesagt: “das Mariechen“, nach Hause holen lassen.
Die bekommt bestimmt auch „TB!“ So war die Meinung aller Schwägerinnen.
Das kleine Ding, was da gekommen war, konnte soeben das kleine Mündchen soweit bewegen, dass es die Milch aus der Flasche trinken konnte. Sie war damals soeben 1 ½ Jahre alt geworden.
Aber unermüdlich setzte sich die neue Mutter für den kleinen Wurm ein. Die Umwelt hatte das Gefühl, das ein eigenes Kind nicht besser und mit grösserer Sorgfalt gehegt und gepflegt werden konnte. Wie glücklich waren da eines Tages der Simon und die Lina gewesen, als der kleine Mund das Wort Mama sagen konnte. Ja, das Glück der Beiden war so gross, dass sich alsbald eigener Nachwuchs anmeldete.
Im Mai 1924 kam dann ein Sohn zur Welt. Er bekam den Namen Walter. Dieser Name war zu der Zeit eine gebräuchliche Namensgebung.
Jetzt wurde es richtig eng in der Wohnung, und das Bemühen um ein eigenes Haus wurde verstärkt. Nachdem die Finanzierung über die Sparkasse in Alverdissen durch die Bürgschaften beider Väter geregelt war,